Wassermusik
Tonfall fest. «Bekennt sich der Häftling schuldig oder nicht schuldig?»
Ned blieben die Worte im Hals stecken. «Nicht –» würgte er hervor und wurde dann von einem plötzlichen Hustenkrampf gepackt, prustete und keuchte, während der Büttel ihm auf den Rücken klopfte und die Zuschauer an Essigfläschchen rochen und Rautenzweige zerkrümelten, um so eine Ansteckung zu vermeiden. Endlich konnte Ned mit tränenden Augen seine Antwort herauskrächzen: «Nicht schuldig, Euer – Ehren.»
Auf der Galerie wurde gezischt. Der Oberrichter schlug mit seinem Hammer auf den Tisch. «Man rufe den ersten Zeugen», dröhnte er.
Erster Zeuge war Mendoza. Der Faustkampf-Champion schritt unter beifälligem Gemurmel durch den Saal, prächtig gekleidet mit schlichter Krawatte, anthrazitfarbenem Jackett und schwarzen Samthosen. Sein dezent gepudertes Haar wurde im Nacken von einem Band zusammengehalten, das höchst vorteilhaft und geschickt mit der Farbe seiner Hosen harmonierte. Er gab seine Darstellung mit klarer, offener Stimme ab und mußte nur gelegentlich in unkontrollierbarem Mitgefühl schlucken, wenn der Staatsanwalt ihn anhielt, Genaueres über die eher unangenehmen Details des Verbrechens zu berichten. Alle fanden seinen Auftritt sehr gut.
Ned fühlte sich erleichtert, als Neville Thorogood, sein Verteidiger, sich erhob, um den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen. Thorogood war ein verbindlicher, korpulenter Mann, dessen Ruf sich neben seiner anerkannten juridischen Tüchtigkeit auch darauf gründete, daß er einmaldreizehn gegrillte Hähnchen auf einen Sitz verspeist hatte. Er trat mit eindrucksvoller Geste vor, eine gestrenge, herrische Miene glättete seine rundlichen Züge, und sein enormer Leibesumfang verdeckte den halben Raum. Leider hatte er ein dünnes, hohes Stimmchen wie ein Sängerknabe, deshalb kicherte man auf der Galerie, als er das Verhör begann. «Mr. Mendoza», flötete er, «können Sie den Herren Geschworenen erklären, was Sie eigentlich um vier Uhr morgens am 11. August dieses Jahres in der Behausung des Angeklagten zu suchen hatten?»
Mendoza zuckte nicht einmal mit der Wimper. «Der Gefangene da hatte uns davor gerade erzählt gehabt, daß er einiges an Tafelsilber und dann noch ’n paar antiquarige Gemälde und Erbstücker zu verkaufen hätte, und wo wir doch wußten, daß der Lady Tuppenham grade erst ebensolchene waren geraubt worden, haben wir uns also ein Treffen mit ihm ausvereinbart, mit dem insgeheimen Hintergedanken, uns das Diebesgut sicherzustellen und ihn festezuhalten, bis die zuständichen Behörden geholt werden würden.»
Von der Galerie ertönte stürmischer Applaus. Der Lord Mayor gratulierte dem Zeugen zu seiner Pflichtauffassung als Bürger.
Ned war wie vom Donner gerührt. «Aber das ist gelogen!» rief er. «Das ist eine unverschämte Lüge!»
Der Oberrichter ließ den Hammer niedersausen und befahl dem Büttel, den Häftling zur Ruhe zu bringen. Nach einem heftigen Schlag in die Nieren krümmte sich Ned und begann wieder zu husten. Als er sich erholt hatte, hob er den Kopf und starrte Mendoza direkt in die Augen. «Ihr wart da, um mich zu berauben», sagte er.
Jetzt stand der Staatsanwalt auf. «Euer Ehren», begann er, «ich bitte Euch zu bedenken, daß der Beschuldigte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung bereits polizeilich gesucht wurde, da er hauptverantwortlich in die schmutzige‹Wühlmaus-Tavernen-Affaire› verwickelt war, die uns alle vor einigen Monaten so schockiert hat. Weiterhin stelle ich fest, daß es ja wohl eine Absurdität ersten Ranges ist, einen Mann, der ein Vermögen von über sechzigtausend Pfund hinterließ, des …
Diebstahls
an einem verarmten Jammerlappen aus Southwark zu beschuldigen.» Hier machte er eine gravitätische Pause. «Neben seiner immanenten Absurdität aber stellt dieses wilde und verwegene Märchen eine schimpfliche Verleumdung des Andenkens an einen großartigen, edlen Engländer dar, der, wäre er nicht durch die Hand jenes gemeinen Lumpen gestorben, heute unter uns weilen würde, um sich selbst vor solch schändlichen Anwürfen zu verteidigen.»
«Bravo!» rief Rudolfo Binbotta.
Der Oberrichter ignorierte Binbottas Überschwang und sah auf den Angeklagten herab, als betrachtete er ein Stück Abfall. «Ich bin ganz Ihrer Meinung, Herr Staatsanwalt.» Der Hammer knallte. «Nächster Zeuge.»
Der nächste Zeuge war Smirke. Er polterte unbeholfen in den Zeugenstand und erzählte seine Geschichte. Ned Rise sei
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