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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einer heftigen Diarrhoe, die ihn dermaßen schwächte, daß er nicht einmal die Energie aufbrachte, sich zu säubern. Zwei Wochen lang lag er schwitzend und stinkend auf einer Matte in der Hütte des
Duti
und wachte aus nervenzerfetzenden Alpträumen zu der krassen Realität dieser vier Wände auf einem fremden Planeten auf. Hin und wieder beugte sich jemand mit einem feuchten Tuch über ihn oder fütterte ihn mit einem Holzlöffel. Eine alte Frau reichte ihm einen Trank aus gestoßener Borke; ihr Gesicht war dasvon Dassoud. Dämonen heulten, seltsame Melodien sangen in seinen Ohren. Er sah das Netz, das die Sterne hält, bohrte sich zum Mittelpunkt der Erde durch, tappte umher in den eisigen schwarzen Tiefen des Meeres. Regen zischte über das Strohdach, Tausendfüßler und zinnoberrote Spinnen krochen auf ihm herum, saugten an seinen Organen, nisteten in seinen Augen. Er schrie bis zur Heiserkeit. Und dann – so plötzlich wie es gekommen war – ging es vorüber. Er konnte wieder sehen und hören. Er wußte, wer er war.
    Die Hütte war gerammelt voll: Kinder und Erwachsene, Hunde, Geflügel, ein alter Aussätziger. Regenschwaden verdunkelten den Ausgang, es roch nach Abwässern und Schlick. Jemafu und sein Schwiegervater stritten miteinander.
    «Du bürdest mir alles auf.»
    «Was konnte ich denn schon tun? Sollte ich deine Tochter und deine Enkel verhungern lassen?»
    «Und was ist mit dem da?»
    «Du kannst einem Gast nicht den Rücken kehren.»
    «Ich hab ihn nicht eingeladen. Dich übrigens auch nicht.»
    Der Entdeckungsreisende rührte sich, stützte sich auf den Ellenbogen. «Mir geht’s schon besser», krächzte er. «Wirklich.» Er stand vorsichtig auf. Er bestand nur noch aus großen Augen. «Wenn ihr mir nur einen Happen Essen für den Weg mitgebt   …»
    In diesem Moment erscholl ein Schrei aus der anderen Ecke, ein unirdisches Kreischen, ein Protest aus einer anderen Welt. Madame Momadu war von Frauen umringt. Eine von ihnen hielt ein Neugeborenes hoch, glänzend und rot. Es war ein Junge. Er schrie noch einmal, ein sonderbares, urtümliches Quieken, in dem Schreck, Wut und Verwirrung lagen. Doch noch etwas schwang darin mit: eine Forderung.
    «Ich kann dir nichts geben», sagte der Schwiegervater.
    Der Entdeckungsreisende suchte seine Sachen zusammen – den mit Notizen vollgestopften Zylinder, seinen Wanderstab, eine Kalebasse für Wasser und den arg mitgenommenen Kompaß – und ging auf den Ausgang zu. Jemafu hielt ihn auf und reichte ihm einen Beutel mit Stockfisch, Korn und Tabak.
    «Raaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!» brüllte das Baby, als hätte man ihm alle Zähne gezogen.
    Der Entdeckungsreisende trat hinaus in den Regen.
     
    Nach einer halbe Meile wurde ihm schwindlig, er verkroch sich in den Schutz von Blättern so groß wie Wintermäntel und schlief ein. Als er erwachte, schien die Sonne. Fan hatte ihm gesagt, der nächste Ort hieße Frukabu und daß man sich für zwanzig Kauris von einem Frukabuaner in einem Einbaum über den Fluß paddeln lassen könne. Er hatte also die Wahl. Er konnte in einem Haufen fauliger Blätter liegenbleiben oder ein paar Trockenfische runterwürgen und die Straße nach Frukabu weiterhinken. Unbezähmbar, wie er war, entschied er sich fürs Hinken.
    In Frukabu wandte er sich an den
Duti
um Nahrung, Unterkunft und eine Fähre über den Fluß. Ein Schreiber sei er, sagte er, und er könne für die Gastfreundschaft bezahlen, indem er mächtige und wirksame
saphis
erstelle. Dann schlief er ein. Der
Duti
schüttelte ihn und fragte, ob er Maure sei. Mungo bedachte die Frage einen Moment lang, die Augen schon auf Halbmast gestellt. Sein Bart hing ihm bis auf die Brust, er war in eine zerlumpte Toga und Sandalen gekleidet, seine Haut war braun von der Sonne und der Gelbsucht. Er blinzelte den
Duti
an.
«La illah el allah»
, sagte er.
«Mahomet rassul Allahi.»
    Der Entdeckungsreisende verbrachte drei Tage in Frukabu als Gast des
Duti
. Er aß gut, schlief in einer trockenen Hütte, verbeugte sich gen Mekka. Das Fieber ließ ein wenig nach, und er gewann langsam seine Kräfte zurück. Erstmals seit Wochen fand er sogar die Energie, sich Notizen zu machen.
Ich vergalt es dem Duti
, schrieb er,
indem ich ihm das Vaterunser auf eine Schiefertafel schrieb. Der Brave war ein strenger Muselmann und meinte, ich schriebe arabisch. Ich hielt es für thunlich, ihn in diesem Glauben zu belassen. Als ich geendet hatte, wischte er die Tafel mit einem nassen Lappen ab, wrang ihn in

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