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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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zu beschäftigt damit, an Seilen zu ziehen und so in Gemeinschaftsarbeit ein riesiges Schleppnetz über die Bucht zu hieven – und dabei aus voller Kehle zu singen.
«Wo-habba-wo!»
skandierten die Männer in einem Baß, der die Erde zum Erzittern brachte, warfen sich bei jedem
«habba»
ins Seil und traten beim Auftakt wieder zurück.
«Wimawoppa, wimawoppa»,
sangen die Frauen und Kinder, während ein zaundürrer, aber muskulöser alter Mann mit all dem Feuer und Eis eines Tenors an der Royal Opera eine verschlungene Melodie darüberlegte.
    Mungo sah sich um. Madame Momadu hatte sich mit ihrem ältesten Sohn einer der Seilschaften zugesellt. Jemafu stand vor einem Berg von silbrigen Fischen, jeder so groß wie eine Sardine, und drosch mit einem Stock auf die Seeschwalben und Pelikane ein, die auf die quirligen Fischmassen niederstürzten und sofort wieder zum Himmel hinaufschossen. Jeder Dorfbewohner hatte seine Aufgabe – von den alten Frauen, die sich um die Feuer kümmerten, bis zu den kleinen Jungen, die mit Steinsalven die Hunde und Schakale vertrieben   –, und doch standen alle durch die hartnäckigen Rhythmen des Liedes miteinander in Verbindung.Ordnung und Harmonie, sangen die Stimmen, Zusammenarbeit und Wohlstand, hau und ruck. Mittendrin stand der Entdeckungsreisende wie eine Gliederpuppe, verfolgte fasziniert den Kampf mit dem Netz, bis er auf einmal spürte, wie die Intensität der Musik zunahm. Es schien, als explodierten die Stimmen jetzt, sie donnerten wie eine Stampede, und eine Frauenstimme jagte in einem Ausbruch dionysischer Energie die Tonleiter hinauf, siedendheiß und triumphierend, und der Rhythmus pulsierte nun noch schneller, hetzte einem gewaltigen Höhepunkt entgegen – und plötzlich stand Mungo auch am Seil, zog so fest er konnte, vergaß sein Fieber, den Hunger, den Kummer, war mitgerissen von der emotionalen Wucht des Geschehens.
    Das Netz schloß sich nun wie ein Trichterhals, verengte sich zu einem U, dann zum V, und auf einmal wimmelte das Wasser von zappelnden Fischen. Tausende sprangen übers Netz, Hunderttausende aber wurden eingefangen, blieben in den Maschen hängen und peitschten das Wasser zu Schaum. Männer wateten hüfttief hinein, schlugen mit Knüppeln auf die fliehenden Fische ein, Kinder schaufelten die betäubten Ausreißer von der Wasseroberfläche, die Menge zog noch einmal, und dann war es vorbei. Das Netz war an Land, ein kolossaler Strom aus Fleisch.
    Schlangen und Aale suchten sich ringelnd das Wasser, Fische hüpften über das schlickige Ufer wie Akrobaten. Doch auf jeden potentiellen Flüchtling kam ein flinker magerer Mandingojunge und sein Knüppel. Klatsch-klatsch, machten die Knüppel, und jetzt setzte ein neuer Gesang ein, weniger beharrlich im Rhythmus, in langsamerem Takt, methodischer: ein Schlachtlied. Kein einziger Fisch entkam. Schon brausten die Dörrfeuer, und die Frauen zogen die silberglänzenden Fischchen auf Schnüre, um sie zum Grillen aufzuhängen. Ein Barsch war dabei, der wohl über fünfzig Kilo wog, und ein welsähnliches Ding, das ihnauf einen Happen geschluckt haben könnte. Zwei Männer hoben eine Sumpfschildkröte, so groß wie ein Wagenrad, in die Höhe, ein anderer zerrte eine dreieinhalb Meter lange Python das Ufer hinauf und brachte sie ins Dorf. In wenigen Minuten war die Schildkröte von ihrem Panzer befreit und blubberte zerstückelt in einem Topf; Barsch und Wels wurden ausgenommen, in Blätter gewickelt und in eine qualmende Grube geworfen, während ein Marabu-Paar um die Überreste kämpfte. Jemafu tippte dem Entdeckungsreisenden auf die Schulter. «Hier», sagte er und bot ihm einen der zehn Zentimeter langen Fische an, der sich glitzernd in seiner Hand wand.
«Akina.»
Er lächelte aufmunternd, denn die Erfahrung lehrte ihn, daß Verzweiflung immer etwas mit Sattsein zu tun hat. «Sieh mal – so geht das.» Zur Demonstration legte er die Lippen an die Kiemen des Fisches und drückte ihn der Länge nach aus, um den Rogen herauszupressen. «Los, versuch’s selber mal.» Vögel kreischten, dicker, öliger Rauch hing in der Luft. Die Stimmen des Chors schwollen an und ab. Mungo hob den Fisch an die Lippen, aber als er ihn zusammenquetschen wollte, merkte er, daß ihm dazu die Kraft fehlte. Seine Schläfen pochten, seine Beine wurden zu Gummi. Er setzte sich hin und fiel in einen Traum aus Schwärze.
     
    Das Fieber schlug mit aller Macht zu. Es erschöpfte ihn und stieß ihn ins Delirium, und begleitet wurde es von

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