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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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erste Maure. «Er hat Ali bestohlen und sich dann wie ein räudiger Hund über Nacht davongeschlichen. Dassoud hat vier erstklassige Sklaven auf ihn ausgesetzt, eine reiche Belohnung.»
    «Nazarini!»
kreischte Einauge.
    Flanchari sah den Entdeckungsreisenden an, wie er eine Schlange betrachten würde, die gerade seinen Fußknöchel verfehlt hat. «Legt ihn in Ketten», sagte er.
     
    In dieser Nacht ging der Regen los wie eine Explosion in einer Glasfabrik. Er fetzte das Laub von den Bäumen, die Bäume aus der Erde. Lichtblitze brachen den Himmel auf, der Donner fuhr auf die Hügel nieder wie Ohrfeigen. Der Entdeckungsreisende war inmitten von alledem nicht völligohne Obdach, wenn er sich auch etwas anderes darunter vorgestellt hatte: Sein Käfig stand im Zentrum einer Art Dorfplatz und war von allen Seiten der Gewalt des Unwetters ausgesetzt. Irgendwann in der Nacht gab es plötzlich ein berstendes Krachen, als würden hundert Musketen unisono abgefeuert, und eine Raffiapalme mit Blättern so groß wie Kanus knallte knapp neben dem Käfig auf die Erde, was den hölzernen Verschlag einen Meter hoch in die Luft schleuderte und den Entdeckungsreisenden aus seiner Mutlosigkeit riß, die schon an katatonische Starre gegrenzt hatte. Nach all seinen Triumphen, den vielen Glücksfällen im Pech und den immer neu erwachenden Hoffnungen war es einfach zuviel gewesen, nochmals zum Gefangenen der Mauren zu werden. Er war in einen Schockzustand verfallen.
    Nun sah er sich zum erstenmal um. Was er sah, steigerte nicht eben seine Laune: hölzerne Gitterstäbe, Insekten, einen irre gewordenen Himmel und die düstere, schweigende Reihe der Hütten. Sein Käfig war einst aus Hartholz und Bambus konstruiert worden, um einen bösartigen Löwen zu beherbergen, der durch das Dach in eine Hütte eingedrungen war, deren Bewohner getötet und aufgefressen hatte und dann offenbar zu satt gewesen war, um sich gleich davonzumachen. Die Dörfler hatten ihn am Morgen schlafend auf einem Berg von halbverzehrten Leichen gefunden. Während ein paar beherzte Burschen mit Speeren die Tür bewachten, bauten die anderen rasch den Käfig, der dann gegen den Ausgang geschoben wurde. Nach dem Aufwachen hatte der Löwe kurz gefrühstückt und war dann zur Tür hinaus und in den Käfig geschlendert, ehe ihm noch klar wurde, daß da etwas nicht stimmte. Etwa einen Monat lang war der Löwe die Attraktion Sibidulus gewesen, doch vor kurzem hatte man ihn Musi, dem König von Gotto, als Friedensgeschenk überreicht. Als Einauge und Flanchari bemerkt hatten, daß alle verfügbaren Eisenketten schonzum Fesseln von Sklaven benutzt waren, die demnächst nach Kamalia getrieben werden sollten, war ihnen der Käfig als ein praktisches Gefängnis für den Entdeckungsreisenden eingefallen. Und so hatte er darin die Nacht verbracht, zwischen Haufen von Löwenmist und mit äußerst düsteren Gedanken im Kopf.
    Der umstürzende Baum war ein echter Segen. Der Krach riß ihn aus der Apathie, und er machte sich daran, den Verschlag nach Fluchtgelegenheiten zu untersuchen. Auf Händen und Knien kroch er in der Finsternis herum, vor seinen Fingern wichen behaarte Krabbelwesen zurück, der Regen peitschte durch die Stäbe und brachte den latenten Gestank nach Löwenpisse voll zur Geltung. Schneller hätte er auch von Riechsalz keinen klaren Kopf bekommen. Er keuchte und würgte, die Augen brannten ihm, und seine Hände tasteten fieberhaft alle Winkel und Verstrebungen seiner Zelle ab. Im ersten Anlauf fand er nichts – die eingeborenen Schreiner hatten gute Arbeit geleistet. Bei näherer Untersuchung entdeckte er dann aber eine rauhe Stelle rechts oben, wo die Bohlen der Decke auf den Eckpfosten trafen. Das Holz war dort ein Stück abgeschabt, weil der Löwe während seiner wochenlangen Gefangenschaft beharrlich daran genagt hatte. Mungos Blutdruck schnellte empor: Das war seine Chance! Aber wie war sie zu nutzen? Instinktiv ging er mit den Zähnen auf das angeknabberte Holz los, zog sich aber bloß einen Splitter in die Lippe zu. Dann kratzte er darauf herum, bis er unter den Nägeln blutete. Immer noch nichts. Schließlich suchte er den Boden vor dem Käfig ab, bis er einen scharfen Stein fand, der sich wie eine Säge in die Schwachstelle hineinfraß.
    Drei Stunden später gab der erste Gitterstab mit protestierendem Knacken nach. Mungo hielt den Atem an und spähte umher. Der Regen fiel mit stetigem, ewig gleichem Tosen. Licht war nirgends zu sehen. Er machte sich wiederan

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