Wassermusik
Souha gewesen und hatte dort vom Morgengrauen bis zur Dämmerung auf demstaubigen Erdboden herumgekratzt, an den eingetrockneten gelben Zitzen seiner Ziegen gerissen, Schlangen, Kröten und Ratten das wenige Fleisch von den Knochen genagt. Nach einer Woche Wolkenbruch waren die Felder rund um Souha meterhoch überschwemmt gewesen. Er und seine Frau und ihre winzigen Kinder hatten in ihrer Schilfhütte geschlafen, als der Niger unter donnerndem Getöse über sie hereingebrochen war. Die Springflut raubte ihm seine Ziegen, zwei Söhne, die Hütte, alle Gerätschaften und die erbärmlichen Vorräte an Trockengemüse und Reis. Im Tausch dafür erhielt er die aufgedunsenen Kadaver von zwei Hartebeests und einer Sitatunga.
Er führte den Entdeckungsreisenden zurück auf den Hügel, wo immer noch der Topf auf dem Feuer brodelte. Die Lichtung strahlte so grün, daß es die Augen schmerzte. «Möchtest du eine Tasse Brühe?» fragte Jemafu.
Mungo begleitete die Momadus in das Dorf Song, dessen
Duti
Jemafus Schwiegervater war. Es waren zwei Tagesmärsche bis dorthin. Jemafu hoffte, an der Dezimierung der Speisekammer seines Schwiegervaters teilzunehmen, während Mungo, der immer noch mit dem Schock von Johnsons plötzlichem Tod kämpfte und von einem beginnenden Fieber geschüttelt wurde, die Gelegenheit wahrnahm, überhaupt irgendwo hinzukommen, solange es nur in der richtigen Richtung lag. (Sehr zu seiner Bestürzung hatte er festgestellt, daß die mißlungene Überquerung des Tulumbo ihn ans andere Ufer des Niger befördert hatte, aber
zwanzig Meilen flußabwärts vom Ausgangspunkt
. Diese Entdeckung kam eigentlich kaum überraschend – sie war nur ein weiteres Glied in der Kette böser Rückschläge und bitterer Enttäuschungen, die mit dem Verschwinden seines Seesacks zehn Minuten nach der Landung auf Goree begonnen hatte und seither unablässig weitergegangen war.)
Die Familie Momadu marschierte früh am Morgen inSong ein, der Entdeckungsreisende bildete die Nachhut. Kochfeuer schwelten im Nieselregen, Hunde kläfften, Perlhühner pickten im Dreck. Es war niemand zu sehen. Die im neunten Monat schwangere Madame Momadu, in diesem Dorf geboren, wunderte sich. Sie sah in diese und jene Hütte hinein, rief ein paar Namen und drehte sich achselzuckend zu ihrem Mann um. Dann jedoch hielt sie den Atem an, stand stocksteif da und lauschte. Auf ihr breites Gesicht legte sich ein Grinsen.
«Mola lave akombo»
, sagte sie. «Sie singen. Hört doch.»
Das Geräusch war leise und weit entfernt, ein statisches Rauschen in der Luft, ein Summen, wie es einen Insektenschwarm ankündigen mochte – oder eine anrückende Armee. Mungo spitzte die Ohren: es schien vom Fluß her zu kommen. Automatisch und ohne nachzudenken, setzte er sich, wie unter einem Zauber, in Bewegung. Menschliche Stimmen, zum Gesang erhoben. Wie lange hatte er das nicht mehr gehört? Bässe und Altstimmen, kontrapunktierende, sich emporschwingende Soprane – das Brausen des Gesangs trug ihn heim zu den Grüften der Kathedralen von Edinburgh und in die schlichte Kapelle aus Eichenbalken seiner Jugend in Fowlshiels. Er erwiderte Madame Momadus Grinsen.
Der schlammige Pfad wand sich durch kleine Gemüsefelder, in denen schon gelbe Kürbisse und die ersten Wassermelonen, Yams, Erdnüsse, Maniok- und Maisstauden sprossen, und zog sich dann einen kleinen Abhang hinab, wo er einem Erddamm folgte, der durch ein überschwemmtes Reisfeld zu führen schien. Die Kinder planschten voran, mager wie Vögel ohne Federn, während Madame Momadu ihnen nachhastete und ihr mächtiger Bauch im Rhythmus des Auf und Ab ihrer Ellenbogen schwabbelte. Der Entdeckungsreisende suchte sich vorsichtig seinen Weg und löcherte Jemafu unterdessen mit Fragen über die örtlichen Machtkonstellationen, Ackerbaumethoden, Initiationsriten.In seinen Ohren schwoll die Musik allmählich an.
Sie durchquerten ein dunkles, dicht bewachsenes Waldstück, wo es auf allen Seiten plötzlich eng wurde, kamen um eine Biegung und hielten den Atem an – vor ihnen erstreckte sich der Niger, ozeanisch, von grauen Nebeln verhangen. Bäume standen im Wasser wie Frauen, die ihre Röcke lüpfen, und das Ufer war voller Menschen. Über der Szene schwirrten Massen von kreischenden, schnatternden Vögeln. Jemafu strahlte. «Die
akina
sind auf Laichzug!» rief er und stürmte davon wie ein witternder Jagdhund.
Keiner sah auch nur auf, als der Entdeckungsreisende sich unter die Menge am Ufer mischte. Alle waren viel
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