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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gekocht hatte, und ließ die Tirade ihres Vaters über sich ergehen. Hinter ihr auf dem Sims stand einer der taxidermischen Triumphe des alten Arztes: ein Dachs und zwei Wiesel, aufrecht stehend, mit Kilt und Schottenmütze bekleidet, Gambe und Querpfeifen in den Pfoten. Sie verlagerte den Blick auf den grinsenden Dachs, während ihr Vater wütend und tobend durchs Zimmer lief. Der Alte hatte ganz hervorragende Lungen, doch irgendwann mußte auch er zum Luftholen innehalten.
    «Bist du fertig?» fragte sie, und bevor er wieder loslegen konnte, schnitt sie ihm das Wort ab. «Ob du’s nun bist oder nicht, jedenfalls wird es Zeit, daß ich mal was sage. Georgie Gleg widert mich an. Seit eh und je. Ein gutes Herz mag er ja haben, aber er ist ein Tolpatsch und Einfaltspinsel. Zwischen uns beiden gibt es keinerlei Zauber, und ich werde ihn nicht zum Mann nehmen, weder jetzt noch irgendwann.»
    Ihrem Vater stand der Mund offen. «Nicht zum Mann –? Aber du hast dein Wort gegeben, Mädel.»
    «Eher geh ich ins Kloster, das sag ich dir.»
    «Na gut!» schnauzte der Alte. «Also gut – wie du willst.» Seine Hand krachte auf den Tisch. «Dann hol ich den Karren und schlepp dich selber zur Abtei.» Ärgerlich wand er sich in die Ärmel seines Mantels und stürmte zur Tür hinaus, wobei er ständig «nicht mehr meine Tochter» vor sich hin knurrte, als studierte er eine Rolle ein.
    Das war am 26.   Dezember. Drei Tage danach kam er zurück,setzte mit seiner keuchenden Stute über den Lattenzaun, pflügte durch Immergrünstauden und überwinterte Blumenbeete, galoppierte direkt bis vor die Tür und trompetete währenddessen die ganze Zeit wie ein Irrer in ein Waldhorn. Ailie hatte das Horn schon aus der Ferne gehört und war verblüfft ans Fenster gegangen. Dinwoodie war gerade dabei, zwei Igel auszustopfen und als den Dorfpfarrer und seine Frau zu verkleiden, als ihn der Lärm aufschreckte, und einen wahnwitzigen Moment lang glaubte er, man attackiere sein Haus. Die Verwirrung dauerte nur kurz. Schon kam Ailies Vater durch die Tür gestürzt, keine Zeit zum Anklopfen. und schrie sich die Kehle aus dem Hals. «Er lebt, meine Kleine!» rief der Alte, während er die Treppe hinaufhastete. Sie brauchte nur einen Augenblick, um seine Worte wirken zu lassen – war es denn die Möglichkeit?   –, dann war sie auf den Beinen und aus der Tür, rannte ihm durch den Flur entgegen. Er fing sie in den Armen auf, Schnurrbart und rotes Gesicht, die Neuigkeit brannte ihm auf der Zunge, er fuchtelte mit einem Brief herum. «Er hat’s geschafft, Mädel. Er ist zurück. Dein Mann ist wieder da!»
    Danach war alles so einfach. Das jahrelange Warten, der Ärger mit der Hochzeit, der Bruch des Gelübdes: alles wurde ihr verziehen. Die Leute fingen an, über Vorahnungen zu reden, über Hellseherei, über ein Zeichen, das sie in letzter Minute erhalten hätte. Woher hatte sie es gewußt? Sie kamen meilenweit, um ihr zu gratulieren, sie anzusehen, sie zu berühren, ihre Stimme zu hören. Ein Wunder isses, genau das isses, sagten sie. Eine Liebe unter himmlischem Schutz. Ailies Ehre war gerettet. Sie fühlte sich, als hätte sie in der Lotterie gewonnen, dem Schönen Prinzen Charlie den Thron zurückerobert, ihren Platz zur Rechten Gottes eingenommen.
    Jetzt aber, zurück in Selkirk, fällt ihr allmählich wieder das Dach auf den Kopf. Ein Monat vergeht, und keineNachricht von Mungo. Er lebt, Gott sei Dank, das bedeutet ihr schon viel – aber wo ist er eigentlich? Vier Tage braucht die Kutsche von London, bei schlechtem Wetter vielleicht fünf, meint ihr Vater. Also wo bleibt er dann? Wo bleibt dieser Bursche, der so heiß darauf ist, seine Verlobte wiederzusehn, na wo? Wo ist er? Das Gerede fängt von neuem an. Ja, zurück ist er wohl, aber er hat sie im Stich gelassen – genau wie sie Gleg im Stich gelassen hat. Geschieht ihr ganz recht. So geht es immer weiter, wird täglich schlimmer, bis endlich ein zweiter Brief eintrifft, gleich nach ihrem Verlobungstag.
     
    «George & Blauer Eber», Holborn
    29.   Januar 1798
     
    MEINE LIEBSTE AILIE!
    Leider entsteht mir ein unumgänglicher Aufenthalt in London durch die Tatsache, daß ich einen gekürzten Bericht meiner Reisen zur Veröffentlichung für Mitglieder und Förderer der Afrika-Gesellschaft verfassen soll. Mit der Hilfe von Mr.   Bryan Edwards, dem Sekretär der Gesellschaft. läßt sich diese Aufgabe voraussichtlich in wenigen Monaten hinter sich bringen – worauf ich sofort in Deine

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