Wassermusik
späht. Ganz langsam, Stück für Stück, wandelt sich der Ausdruck des Greises von Überraschung zu freudiger Erregung, und dann stürzt er auf den Kutschenschlag zu, wobei er die ganze Zeit zetert wie ein Geistesgestörter, dem der Schopf in Flammen steht: «Beim Herrgott, das ist ja unser Entdeckungsreisender! Es ist Mungo! Mungo Park ist nach Hause zurückgekehrt!»
Mungo hatte seine Heimkehr eigentlich so unauffällig wie nur möglich gestalten wollen. Seit einem Monat hatte er Ailie nicht mehr geschrieben. Niemand wußte, daß er kam. Sein Plan, in einem raschen Impuls gefaßt, war es, Ailie zu überrumpeln. Die Arbeiten an der Kurz-Version der
Reisen ins Innere Afrikas
hatten endlich ihren Abschluß gefunden – nach einer Phase nicht enden wollender Marterqualen, die in ihren Ausmaßen schon an Dante gemahnten –, und jetzt war er frei, die nächsten paar Monate in Schottland zu verbringen, sich zu erholen, zu angeln, die Endfassung seines Buches vorzubereiten, mit Ailie ins Bett zu gehen. Dieser letztere Ausblick machte ihn besonders enthusiastisch. Seit er seinen Irrtum erkannt und die Baronesse aufgegeben hatte, war seine Leidenschaft für Ailie immer stärker geworden. So stark sogar, daß er in den Nebelnächten Londons kaum mehr schlafen konnte. Der Frühling kam und ging. Edwards triezte ihn. Sir Joseph kommandierte ihn mit eiserner Hand. Dann kam der Juni. Die Kurzfassung wurde termingerecht fertig, und schon war er auf dem Weg nach Schottland, um seiner Verlobten das Herz leichter zu machen.
Doch im Leben geht es nicht immer so einfach.
Zum einen schart sich die Menge dermaßen überstürzt um die Kutsche, daß man meinen könnte, der alte Cranstoun habe gerufen: «Goldstücke! Frisch geprägte Goldstücke gratis abzugeben!» Zum zweiten ist an ihren Blicken abzulesen, daß sie Mungo nicht davonkommen lassen werden, ohne zumindest ein Riesenfest und ein schönes, erhebendes, whiskyseliges Spektakel nach alter Väter Sitte veranstaltet zu haben, wie es dem Anlaß gebührt. Begeisterung strahlt aus jedem Gesicht. Staunend greift man nach dem Entdeckungsreisenden, die Matrone und ihre Mutter sind verdutzt und nehmen Anstoß, der alte Cranstoun steht am offenen Kutschenschlag wie ein Lakai. «Hurra!» ruft die Menge, ein Geysir von Hüten und Perücken steigt in die Luft empor, und jetzt stimmt Jamie Hume «For He’s A Jolly Good Fellow» an, und Nat Cubbie fordert eine Ansprache.
Unter donnerndem Beifall steigt Mungo aus. Er ist mit jedem Zoll der heroische Märtyrer, bläßlich, immer noch etwas hager, die Gesichtszüge von den Spuren des Leids und seinem unbezähmbaren Eroberungswillen geprägt. Die Monate am Schreibtisch haben ihn womöglich mehr ausgezehrt als all die hoffnungslosen Monate der Krankheit und Entbehrung in Afrika. Aber wer weiß davon schon etwas? Die Menge sieht nur ihren schüchtern lächelnden Liebling, einen der größten Männer, die Selkirkshire je hervorgebracht hat, den Entdecker des Niger, Bezwinger von Afrika, und sie alle kennen ihn, von klein auf! «Mungo!» jubeln sie. Und: «Er soll eine Rede halten!»
Der Entdeckungsreisende hebt die Hände vor der johlenden Menge und läßt sie zu erwartungsvollem Raunen verstummen. An die dreihundert Menschen dürften auf der Straße sein, und immer noch kommen welche dazu. Altbekannte Gesichter, Freunde, mit denen er aufgewachsen ist. Finn Macpherson in einem Schusterkittel – dergrinst, als wäre er eben zum Thronfolger bestimmt worden –, Mrs. Tullochgorm, Robbie Monboddo mit dem Kragen eines Geistlichen, Georgie Scott. Er will aber keine Rede halten. Er will zu Ailie hinüberrennen, sie stürmisch in die Arme nehmen. Er will querfeldein nach Fowlshiels gehen und seiner Mutter zeigen, was aus ihrem Sohn geworden ist. Doch hier sehen all diese erwartungsvollen Gesichter zu ihm auf, als könnte er Wasser in Wein verwandeln oder Tote erwecken oder sonstwas. «Also gut», ruft er, und dann etwas leiser: «Ich werde mein Bestes tun.»
Sofort kommt Protest in den hinteren Reihen auf. «Red lauter, Jung, wir verstehn hier keinen Ton!»
«Ich sagte, ich werde ein paar Worte sagen», schreit der Entdeckungsreisende und weiß schon nicht mehr weiter. Die Menge wird jetzt ganz still. Der Entdeckungsreisende kann die hastigen Schritte der Zuspätkommenden hören, unterdrückte Flüche, in der Ferne zuknallende Türen. «Ich – ich bin froh, daß ich wieder in Selkirk bin» – hier erhebt sich ein Jubelschrei –,
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