Wassermusik
gestorben, reich geworden, in den Krieg mit Frankreich gezogen ist. Afrika wurde mit keinem Wort erwähnt, und Ailie auch nicht. «Also sie denkt, ich hab sie im Stich gelassen?»
Zander läßt Sand durch die Finger rieseln. Er antwortet, ohne aufzusehen. «Ja. Es war schlimm für sie, als du in Afrika verschwunden warst und keiner was von dir gehört hat – verdammt schlimm. Aber als du dann plötzlich in London warst und kein einziges Mal raufgekommen bist, um sie zu besuchen … naja, da dachte sie eben, es war dir egal.»
«Aber ich hatte doch gar keine Wahl – kann sie das denn nicht verstehen?»
«Sie ist doch kein Mann, Mungo. Was weiß sie schon von Pflicht und Verantwortung? Aber hör zu: laß ihr etwas Zeit – sie wird sich’s schon noch überlegen. Sie liebt dich.»
Trübsinnig blickt der Entdeckungsreisende zu den Schloßruinen hinüber. Er kennt jeden Winkel wie seine Westentasche. Als Junge hat er dort mit Adam die Grenzlandkriege noch einmal gekämpft, Festungsmauern eingenommen, unsichtbare Feinde in die Flucht geschlagen, Träume von Ruhm und Ehre geträumt. «Für mich war es auch schlimm, Zander. Tod und Seuchen, Hunger und Gefangenschaft. Ich mußte zusehen, wie mein Gefährte vor meinen Augen starb, und ich konnte nichts dagegen tun.»
«Das wissen wir doch, Mungo. Und es ist auch ganz natürlich, daß du eine Zeitlang zum Eingewöhnen brauchst. Aber sie hat mir gesagt, wenn du sie haben willst, dann mußt du noch einmal von vorn anfangen.»
«Ihr noch mal ganz von neuem den Hof machen?»
Zander nickt. Dann sieht er den Entdeckungsreisendenan, und sein Gesicht wird plötzlich lebhaft. «Aber was andres jetzt. Erzähl mal: Wie ist es da drüben gewesen?»
Am selben Nachmittag steigt der Entdeckungsreisende mit heftigen Kopfschmerzen, trockener Kehle und sauer rumorendem Magen noch einmal die Stufen zum Haus der Andersons hinauf. Er trägt eine frisch gestärkte Krawatte, eine neue Jacke aus Kammgarnflanell, blankgeputzte Stiefel, und unter dem Arm hat er ein schlecht eingewickeltes Päckchen. Ein Dienstmädchen in Schürze und Holzpantinen antwortet auf sein Klopfen und führt ihn herein. Die muß neu sein, denkt er gerade, als Douce Davie den Flur entlanggesprungen kommt. Der Entdeckungsreisende läßt sich auf ein Knie nieder und streckt die Hand aus. «Hallo, Davie», ruft er und schnalzt mit der Zunge, «guter Hund.» Der Terrier bleibt abrupt stehen, knurrt ein paarmal und bleckt die Zähne. Rums, das Dienstmädchen ist aus der Tür. Mungo erhebt sich unsicher. Der Hund beginnt zu bellen.
Er hört eilige Schritte, dann geht eine Tür am Ende des Flurs auf. Es ist Dr. Anderson, groß, mit geweiteten Nasenflügeln, ein frischer Bart sprießt ihm aus dem Gesicht wie ein rankendes Wassergewächs. Er umschlingt den Entdeckungsreisenden mit den Armen wie ein Liebhaber und preßt ihn an sich. «Mungo», sagt er leise mit bebender Stimme, «bist also doch zu uns zurückgekommen.»
Der Entdeckungsreisende wird verlegen. Als der Arzt seinen Griff lockert, tritt Mungo einen Schritt zurück und nickt. «Tja», murmelt er. Dies löst bei Anderson einen erneuten Ansturm von Umarmungen, Schulterklopfen und Händeschütteln aus, während der Terrier an Mungos Beinen zerrt und dabei protestierend kläfft. Der Entdeckungsreisende kommt sich vor, als hätte er gerade nach einem Sololauf übers halbe Spielfeld den Ball zum Siegestreffer ins Netz befördert. «Naja, dann», grölt der Doktor, «komm erst mal rein und laß dich richtig anschaun.»
Mungo folgt ihm ins altvertraute Wohnzimmer, eine Woge von Wärme und Sehnsucht überspült ihn, dann bleibt er verdutzt stehen. Was ist denn das? Die Wände sind übersät mit seltsamen Schwarzweißzeichnungen – wabenförmig angeordneten Quadraten und Rechtecken, abgeplatteten Sphäroiden, kleinen Kreisen in größeren Kreisen –, Zeichnungen von flüchtiger Geometrie, so als hätte dem Künstler etwas auf halbem Wege zwischen dem ästhetisch Ansprechenden und dem Mathematisch-Präzisen vorgeschwebt. Dann bemerkt er den Schreibtisch aus Kirschholz in der Ecke. Mitten darauf steht ein neues Cuff-Mikroskop und schimmert wie eine Ikone. Mungo will seinen alten Freund und Lehrer eben fragen, ob er mit Mikroskopieren angefangen hat, da drückt der ihm ein Glas Bordeaux in die Hand. «Santé!» schnarrt er, «und meinen herzlichen Glückwunsch dazu. Hast Ruhm und Ehre nach Selkirkshire gebracht, und ich bin verdammt stolz auf dich.»
Und dann
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