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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein fettes, schimmerndes Vermögen erwarte   …
    Wie sich herausstellt, sind schöne Reden gar nicht nötig. Schon beim ersten Klopfen geht die Tür knarrend auf; bevor Ned ein Wort herausbringt, vergällt ein wüstes Kreischen die Luft, und eine verhutzelte Alte bittet sie ohne Umstände herein. «Iiiih-hiiih! Reisende, wie? Verfrorn und hungrig? Sicher auf der Landstraße ausgeraubt, was? Na, dann kommt nur rein und tut euch an Mutterns Feuer aufwärmen, na los, kommt schon, bloß nich so schüchtern.»
    Wegen ihres schlimm verkrüppelten Rückgrats stehtdie alte Frau tief gebückt, ihre schuppigen Hände sind zu Krallen verkrümmt, doch ihre Augen sind scharf wie Klauen in dem Gesicht, das so entstellt ist wie die allertrübsten Erinnerungen an die Vergangenheit. Boyles rennt sie fast um in seinem Drang zum Feuer hin, doch Ned zögert noch, ist unruhig, bis sie eine verschrumpelte Kralle vorstreckt und ihn durch die Tür zieht.
    Das Innere ist eine Höhle. Steinmauern, Lehmboden, die Finsternis nur gemildert durch den urtümlichen Schein des Feuers. Ned stolpert beinahe über einen Schatten, der ausgestreckt am Boden liegt, sein Herz rast wie ein flinkes kleines Tier in einem Käfig, irgend etwas stimmt hier nicht, stimmt ganz und gar nicht, all seine Sinne sind zum Zerreißen gespannt, und in seinem Kopf scheut das verbrannte Kind das Feuer und schnattert
paß auf, paß auf!
Er zuckt zurück, und der Schatten grunzt, erhebt sich aus dem Kot und nimmt Formen an: es ist eine müde, schlappohrige Sau.
    «Also», kreischt die Alte. ihre Stimme ist zerkratzt und irr wie eine gemarterte Violine. «Kommt her und tut euch die Knochen wärmen. Iiiih-hiiiih!» Auf einmal schwenkt sie zu Boyles herum. «Du da, Plattkopp – wie wär’s denn mit’m Schlückchen Gerstensaft, häh? Na?»
    Sie braucht nicht zweimal zu fragen. Boyles hebt den Krug an die Lippen, bevor sie ihn noch vom Schrank nehmen kann, er schmatzt und prustet, plappert irgendeinen Blödsinn über das Elixier der Götter, die dünnen Beine zum Feuer hingestreckt, das Gesicht rot wie das eines Schankwirts.
    «Na, un du, Firsichgesicht?»
    Ned steht mit dem Bücken zum Herd, gespannt wie eine Katze, denn er rechnet halb damit, daß er nur die Augen zusammenkneifen muß, um lauter ermordete Kinder an einer Leine von der Decke baumeln zu sehen oder sonst irgendeine Schrecklichkeit im Zwielicht zu entdecken.Die Sau zuckt mit den Ohren und wirft ihm einen langen verächtlichen Blick zu, bevor sie in der Ecke zusammenklappt, ihr Geruch steigt ihm scharf in die Nase, ein Brodem von Verwesung und Exkrementen schwebt in dem Raum, der Gestank von Leben, das ganz unten gelebt wird und selbst in der letzten widerwärtigen Körperfunktion noch besudelt ist. «Nein», sagt er und reibt sich die Hände. «Nein, wir müssen wirklich gleich weiter   … wir wollten bloß fragen, wie wir zu Squire Trelawneys Haus kommen   …»
    «Ach», ächzt die Alte, «Freunde vom Gutsherrn seid ihr also, wie?»
    Ned macht den Fehler, zustimmend zu nicken.
    «Iiiih-hiiih!» zetert sie wieder. «Na, das is ’ne Überraschung, hol mich der Deibel und seine Großmutter. Un ich hab gemeint, ihr wärt bloß ’n paar unwichtiche, gemeine Vagabunden, so verkomm’nes Lumpenpack, hab ich gedacht   … aber Freunde vom Squire, also das is ja ’ne ganz andre Sache», krächzt sie hervor, «ja, ’ne ganz un gar andre Sache.» Und dann wölbt sie die Hände vor dem Mund und ruft in den Gang hinein, die grobe Stimme gallig wie ein Gericht aus Giftpilzen: «He, Junge! Hallo, Junge! Jetz krieg schon dein’ faulen Arsch hoch un sag den braven Herrn hier gut’n Tach, die wo bei uns zu Besuch komm’.»
    «Wirklich, wir sind bloß   …», stammelt Ned.
    «Hocherfreut, was?» kreischt die Alte und scharrt in der obszönen Parodie eines Knickses über den Boden. «So, dann setzt euch erst mal hin und tut uns Bauersleuten ’ne Minute von eure kostbare Zeit schenken.» Sie stößt ihm einen Hocker hin und ruft neuerlich ungeduldig in den dunklen Gang: «Junge!»
    Am anderen Ende des Raums entsteht eine Bewegung, scheu und verstohlen, dann taucht eine kindliche Gestalt aus dem niedrigen Loch des Schaftriebs auf. Ein Junge von vier oder fünf Jahren, sein Gesicht ist ein schwacher hellerFleck im Zwielicht. Er bleibt unsicher stehen, hält den Kopf gesenkt.
    «Na los, du Kröte, jetz trödel da nich im Schatten rum un komm her bei deine alte Mutter – oder kapierste kein Oxfordenglisch nich mehr?»

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