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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mageren, dunkelhäutigen Fremden, der sie aus glitzernden, rotfleckigen Augen anstarrt. Wer –? fragt sie sich, und ein vages Unbehagen rumort in ihrem Bauch, doch dann liegt sie in Mungos breiten Armen, und alles andere ist nicht mehr wichtig.
    Drinnen läßt sich Mungo mit seinem Gast beim Herd nieder, sie wärmen sich die Hände, während Ailie einen Kessel Wasser aufsetzt und sich wieder der Pastete zuwendet. Draußen vor dem Stall hat Mungo ihr den kleinen Mann flüchtig vorgestellt, Bubi Soundso, den Namen hat sie nicht recht verstanden. Mittlerweile geht zusammenhangloses Geplauder auf sie nieder wie ein Schneesturm. Mungo will wissen, wie es den Kindern so geht, wie das Wetter gewesen ist, ob sie auch genug Feuerholz hat, ob sie etwa erkältet ist? Er schwadroniert von Sir Josephs Gesundheitszustand, den Strapazen der Fahrt und der neuen Regierung, erzählt von Dickson, Effie und Edwards, aber diesen Bubi hat er ihr immer noch nicht erklärt. Sie hält den kleinen Kerl für einen Afrikaner, nach dem Stofflumpen, den er um den Kopf gewickelt trägt, und den tiefen Narben auf seinen schwarzen Wangen und der Stirn. Ein Maure? Ein Mandingo? Und wozu sollte ihn Mungo nur hierher bringen?   … Sollte er etwa   …
    «Aha», sagt sie, indem sie wie wild den Teig knetet. «Sie möchten sich also Peebles ansehen   … Mr.   Bubi?»
    Der Maure fährt hoch, als wäre er überrascht, seinenNamen von dieser Frau an diesem Ort laut ausgesprochen zu hören. Er schmiegt sich so dicht an den Herd, daß sie Angst hat, er könnte im nächsten Moment Feuer fangen. «O ja, meine Dame, o ja, ich möchte Peebles gärrn anschauen, ja.» Sein Blick erinnert sie daran, wie Douce Davies immer guckt, wenn man einen Schinken auf dem Küchentisch liegenläßt.
    Mungo seufzt und steht auf. «Mann, das riecht aber gut», sagt er. «Was machst du denn da Feines   – Schweinskopfsülze?»
    «Ja, für Weihnachten», erwidert sie.
    «Gibt’s keine Gans?»
    Sie hat das deutliche Gefühl, daß er abzulenken versucht, daß dieser Bubi irgend etwas an sich hat, das sie nicht erfahren soll. «Doch, Gans auch», sagt sie ungeduldig, «Gans auch. Aber sagen Sie», wendet sie sich wieder an den Mauren, «werden Sie über die Feiertage bei uns bleiben, Mr.   Bubi?»
    Der Maure sieht sie fragend an. «Feuertage?»
    Mit gedämpfter Stimme und wie aus der Pistole geschossen sagt Mungo etwas in einer fremden Sprache zu ihm. Arabisch?
    Sidi lächelt. «Ich bin Maure, gnädige Frau.»
    Dies führt nicht weiter. Sie sieht ihren Mann an, wischt sich die Hände an der Schürze ab. «Bleibt er nun?»
    Ehe Mungo antworten kann, springt der Maure wie auf ein Stichwort hoch. «O ja, wärrte Dame, Mistress Park», winselt er, stürzt auf sie zu und wirft sich vor ihr auf den Boden. «Mit Ihrer Erlaubnis will ich gärrne zwei bis drei Monate bleiben.»
    Ailie zuckt zurück, als hätte sie sich verbrannt. «Zwei bis drei –?»
    «Ailie», sagt Mungo mit leiser, flehender Stimme.
    «Gut Frau, gut Frau», skandiert Sidi und verfolgt sie auf allen vieren, scheint ihr den Rocksaum küssen zu wollen.Plötzlich blickt er auf und stößt «Lehrärr, Lehrärr!» mit dem Hochgenuß eines Lexikographen hervor, der seit Monaten nach dem richtigen Wort sucht.
    «Er ist mitgekommen, um mich Arabisch zu lehren, Liebling.»
    «Arabisch? Wozu denn?» Doch sie kennt die Antwort bereits, ihr Gesicht wird blaß, ihr Kiefer schiebt sich vor. «Du willst doch etwa nicht   …?»
    Mungo sieht aus wie ein Häftling auf der Anklagebank. «Ich, äh – ich wollte dir gerade erzählen, äh, was ich mit Sir Joseph   …», setzt er an, doch da rettet ihn die Türglocke. Gleich darauf steckt Mungo junior den Kopf in die Küche, dicht gefolgt von Thomas. Sie zögern einen Augenblick, dann stürmen sie hinein, hängen sich dem Vater an die Beine, und von der naiven, strahlenden, alles verzehrenden Freude ihrer schrillen Kinderstimmen klirren die Küchenfenster.

VÄTER UND SÖHNE
    Es ist ein weiter Weg nach Hertfordshire. Der Weg führt über Enfield, verschiedene Heuschober, die Hütte einer alten Vettel, ein Dorfgefängnis und das Zuchthaus in den Schiffsrümpfen der Themsedocks. Doch greifen wir der Geschichte nicht vor. Gehen wir zum Anfang und erinnern uns des Winters 1802, des brausenden und bitterkalten, und der beiden zerlumpten Gestalten, die auf der Straße nach Hertfordshire vor sich hin frieren, ausgehungert, angsterfüllt und bettelarm, aus London verjagt durch die

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