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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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entschlossen ist, der alarmierenden Zunahme von Wilderei auf seinem Gut ein Ende zu setzen, unterbricht verdrossen sein Abendessen, um das Paar abzuurteilen: sechs Stunden Folter am Wippgalgen, gefolgt vom Einspannen im Quetschbock sowie, falls noch erforderlich, Erdrosseln bis zum Eintreten des Todes. Als Frage von rein theoretischem Interesse gibt des Squires Bruder zu bedenken, daß die Eindringlinge ja weder Waffen noch Diebesgut bei sich getragen hätten und daher womöglich eher für das weniger flagrante Delikt der Grundbesitzstörung zu verurteilen seien. Nicht daß er, wohlgemerkt, des Bruders Autorität zu hintertreiben gedenke, noch wolle er in irgendeiner Weise dafürstehen, die Schuldigen glimpflich zu behandeln, doch fände er den Gedanken an ausgerissene Gelenke und zermalmte Rippenbögen vor dem Essen gar allzu unappetitlich. Der Squire, inmitten seiner großen Sammlung von Seemannsknoten und allerlei ausgestopften Hirsch- und Eberköpfen, zögert kurz, zupft an seiner Perücke und starrt ins Leere, als sänne er über den Einwand seines Bruders nach. Nach ein paar Minuten knurrt ihm gewaltig der Magen. «Also gut, Lewis, du kriegst deinen Willen», knurrt er schließlich. «Dann eben zwanzig Jahre Zwangsarbeit.»
    Es folgen zwei Monate beengter Haft am Grunde eines ehemaligen Brunnens, der schon lange kein Wasser mehr gibt, aber trotzdem feucht wie ein Spülbecken ist. Das Essen ist mies, die Eingekerkerten treten einander ständig auf die Zehen, und Boyles jammert unentwegt. «Wär ich doch bloß nie geboren», stöhnt er, Auge in Auge mit Ned in ihrem zylindrischen Gefängnis, kaum daß er die Arme bewegen kann, ohne seinen Gefährten anzustoßen. «Und meine Füße erst – die sind so naß, mir faulen glatt die Schuhe weg. Und friern tu ich – Frühling, Sommer, Winter, hier isses immer wie inner Arktis.»
    Bei Tage kommt Trelawneys Aufseher – ein tückischer Psychopath mit so schiefem Rückgrat, daß sein Kopf flach auf der linken Schulter liegt – und bindet sie zusammen mit einem arthritischen Ochsen vor den Pflug, um sie von morgens bis abends durch Schlamm und Dreck über die Felder zu hetzen. Des Nachts müssen sie schichtweise schlafen: Einer klettert im Brunnenschacht ein Stück hinauf und klammert sich dort an die nassen Steine, während der andere unten im Morast kauert und ein wenig zu dösen versucht. Während Ned sich eines Nachts so an eine Weidenwurzel klammert und mit den verkrampften Beinmuskeln an der anderen Schachtwand abstützt, dämmert ihm der Gedanke, daß er vielleicht doch gestorben ist; womöglich war seine Auferstehung in St.   Bartholomew’s nichts als das Erwachen in der Hölle und alles, was er seither erlebt hat – all die Schmerzen, gebrochenen Schienbeine, Stiche und Krämpfe, jeder Schlag ins Gesicht und jeder Tritt in den Hintern, alle Schicksalsschläge, Enttäuschungen und peinvollen Verluste   –, alles ist nur ein winziges Glied in der endlosen Kette von Torturen, die er noch durchleben muß, Augenblick für Augenblick, und bei jeder einzelnen wird er leise wüste Verwünschungen ausstoßen, als wäre es der Rosenkranz des Teufels.
    Offenbar liegt er gar nicht so falsch mit der Annahme.
    Zwei Monate später kommt ein berittener Gendarm, um die Häftlinge aus dem Brunnen zu ziehen, sie hinter ein Fuhrwerk zu ketten und nach London marschieren zu lassen, wo sie für die verbleibenden neunzehn Jahre und zehn Monate ihrer Strafe zum Schlammschaufeln ins Schiffsgefängnis gesteckt werden. In den alten Schiffsrümpfen im Bett der Themse ist es allenfalls noch enger und feuchter als in Squire Trelawneys Brunnen, doch wird die Lage noch verschärft, da sie nun dem stinkenden Atem, dem breiigen Kot und der eitrigen Spucke Hunderter von Kriminellen ständig preisgegeben sind: abgefeimter Vaterschänder,Päderasten jeglicher Couleur und Blutschlürfer aller Art. Es ist verdammt hart. Zu dritt pro Koje sind sie in den lecken, knarrenden Laderäumen der verfaulten Kähne eingesperrt, die für immer im Flußbett eingemottet sind und bei ihrer allmählichen Verwandlung zu Sägemehl und Schimmel vor sich hin pesten. Zu essen gibt es Schweinefraß aus Kohl und Grütze. Tagsüber Zwangsarbeit in den eingepfählten Gevierten zehn, fünfzehn Meter unter dem Wasserspiegel, den Spaten einstechen, die Spitzhacke schwingen und eimerweise feuchten, stinkenden Morast schleppen. «Baggern» nennen sie es. Knochenbrecherarbeit, die den Geist abtötet. Legt man die Schaufel

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