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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sich kurz zuvor in Ashestiel am Tweed niedergelassen, war aber zuvor fünf Jahre lang Sheriff von Ettrick Forest gewesen und kannte jeden Bauern der Gegend – einschließlich Mungos Bruder Archibald. Als Mungo aus Peebles zurückgekommen war, hatte Archie die beiden zusammengebracht, und gegen Ende des Sommers waren Scott und der Entdeckungsreisende dicke Freunde. Mungo ritt oft los, um die Hügelkette zwischen Yarrow und Tweed zu überqueren und die langen Nachmittage in Ashestiel zu verbringen, oder aber Scott tauchte unangemeldet auf und saß den ganzen Abend auf der Veranda in Fowlshiels oder unten am Fluß, wo sie die Angeln auswarfen und den Mücken beim Tanz auf dem Wasser zusahen. Die beiden machten lange Spaziergänge, die Köpfe gesenkt, ins Gespräch vertieft; sie fischten, ritten, tranken und philosophierten zusammen. Scott hatte im Vorjahr die dreibändige Ausgabe seiner
Lieder der Grenzlande
veröffentlicht, und Mungo zog es immer wieder zu den alten Balladen, er stellte die Versionen des Dichters denen gegenüber, mit denen er aufgewachsen war, wies ihn auf Unstimmigkeiten hin und beklatschte jeden alten Fund. Er ließ sich sogarhinreißen, seinem Freund etwas über seine eigenen Beobachtungen zur mündlichen Überlieferung der Mandingo und Mauren zu berichten. Scott seinerseits wurde nie müde, Einzelheiten von Mungos Reisen zu hören – vor allem jene, die der Entdeckungsreisende bisher ausgelassen hatte. Oft schenkte er ihnen ein Glas Bordeaux nach und wollte von Mungo noch mehr erfahren: über Dassouds Ausschweifungen zum Beispiel, oder Fatimas Gelüste und Aishas tröstendes, willfähriges Wesen. Wie er Hundefleisch gefressen hatte und vor Mansong, dem König von Bambarra, gekrochen war. Über die seltsamen Rituale, deren Zeuge er gewesen war, die unaussprechlichen Akte und die unnatürlichen Praktiken.
    Ailie war froh über die Freundschaft. Scott war ein Mann von Kultur und Gelehrsamkeit, gleich alt wie Mungo, und er schien die Fähigkeit zu haben, ihren Mann aus der Reserve zu locken, ihm Freude und Energie einzuflößen, so daß er nicht mehr den ganzen Tag grübelte. Aber alles hatte seine Grenzen. Bei der Geburtstagsparty kapselte sich Mungo praktisch völlig von seinen Gästen ab und zog sich mit Scott und Zander in eine Ecke zurück, wo sie leise und mit gesenkten Köpfen redeten. Ihre Mutter und Archibald mußten ihn förmlich hochreißen, damit er aufstand, die Kerzen ausblies und den ersten Tanz machte. Und dann verschwand er gleich wieder in der Ecke, zurück zu Scott und Zander. Ihre Stimmen verloren sich im Pfeifen des Dudelsacks, doch von Zeit zu Zeit blickte Ailie hinüber zu den dreien, die irgend etwas besprachen, gestikulierten, debattierten, mit Mienen so beherrscht und ernst wie ein paar Pfarrer beim Nachmittagstee.
    Als sie an diesem Abend ins Bett gingen, gab ihm Ailie ihr Geschenk. Es war ein in Kork eingefaßter Kompaß. «Damit du immer den Heimweg zu mir findest», sagte sie lächelnd. «Von Edinburgh oder Ashestiel – oder auch von London.» Sie zögerte, in ihrem Gesicht erstrahlte ein knospendesGeheimnis. «Da ist noch etwas», flüsterte sie und drückte sich eng an ihn. Ausdruckslos sah er sie an, die blonden Stoppeln auf seiner Wange waren wie durchscheinend im Schimmer der Öllampe. «Wir bekommen wieder ein Baby», sagte sie. «Im Frühling.»
     
    Am nächsten Morgen brach Mungo nach Edinburgh auf. Geschäftlich. Den ganzen Sommer über war er in der Stadt gewesen, um sich mit Saltoun, dem Anwalt, über solche Dinge wie Anlagemöglichkeiten und Absicherungen für seine Familie zu besprechen. «Absicherungen?» hatte Ailie nachgefragt.
    «Man kann nie wissen», sagte er, feierlich wie der Patriarch der verlorenen Stämme Israels.
    «Aber du bist noch jung, Mungo – es ist doch Unsinn, in deinem Alter über solche – solche Dinge nachzudenken.»
    «Ich könnte morgen vom Pferd stürzen. Oder in den Yarrow fallen und mir den Kopf an einem Felsen stoßen, oder   …»
    Sie wandte sich ab. «An so was will ich gar nicht denken», sagte sie. «Tu, was du für richtig hältst.»
    Vor dem Haus küßte er sie, bevor er losritt. Und dann drückte er sie noch einmal an sich und küßte sie wieder, strich ihr übers Haar und fuhr der Kontur ihres Kinns mit zitternden Fingern nach. Sie staunte über seine Leidenschaft.
    «Grüß mir die Macleods und die Leasks», sagte sie, «und den alten Saltoun auch   … In vier, fünf Tagen bist du ja zurück?»
    Er war jetzt

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