Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
wieviel ihr sein Opfer und sein Gelübde vor ihr wert seien. Das Thema Afrika war begraben – wenn auch das Grab äußerst flach war.
    In den nächsten paar Monaten verlief alles ruhig, obwohl sich Mungo in wachsendem Maße ruhelos und unzufrieden zeigte. Er verlor leicht die Beherrschung. War weder an den Kindern noch am Ablauf des Haushalts interessiert. Eigenbrötlerisch schweigsam, verdrossen. Die Magenverstimmung, die er sich in Ludamar zugezogen hatte, kam mit voller Wucht wieder, und häufig stocherte er nur in seinem Essen, nippte an einer Tasse Brühe mit Gerstenflocken und sagte, er sei schon satt. Wenn ihm die öde Arbeit der Pflege seiner unwissenden, nörgelnden, vom Unglück verfolgten Patienten einmal die Zeit ließ, dann brütete er über seinen Büchern und Landkarten oder betastete die Artefakte, die er aus Afrika mitgebracht hatte, fast wie in Trance fuhr er mit den Fingern an den Konturen eines Knochenmessers oder einer hölzernen Maske entlang, als wären sie Fetische oder Heiligenreliquien. Jeden Morgen bei Tagesanbruch bestieg er sein Pferd und ritt an die vierzig Meilen weit übers Heidemoor, um Geburten und Sterbefälle zu überwachen, rauhe Kehlen und imaginäre Unpäßlichkeiten zu behandeln, hilflos zuzusehen, wie sich ein Bein im Wundbrand zersetzte oder der Krebs einer alten Frau die Gedärme zerfraß. Das war also sein Lohn. Das hatten ihm all seine Kühnheit und sein Ruhm eingebracht. Er hatte die Nase gestrichen voll.
    Im Mai 1804 sagte er Ailie, er wolle alles verkaufen – das Haus, die Möbel, die Praxis. Sie würden zu seiner Mutter nach Fowlshiels ziehen. Er brauche Zeit zum Nachdenken.
    «Nachdenken», echote sie. «Worüber denn?»
    Er hielt ihrem Blick stand. «Darüber, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen will.»
    Sie standen in der Küche. Inmitten von eingetopften Kräutern, Geschirr, Holzgerätschaften, Messern. Ein Korb mit frisch eingesammelten Eiern – braunen und weißen – stand in einem Fleckchen Sonnenlicht auf dem Tisch.Auf einmal schob sie ihren Stuhl zurück und fegte die Eier zu Boden. «Ich weiß genau, was du machst», sagte sie mit leiser Stimme, die vor Erregung zitterte. «Du lockerst deine Bindungen.»
    «Nein, Ailie. Schätzchen. Das tue ich nicht. Ich brauche bloß etwas Zeit zum Nachdenken, sonst nichts.»
    Er meinte es ehrlich. Glaubte es jedenfalls. Nach der Konfrontation wegen Sidi war er sich niedrig und mies vorgekommen. Er war ein unverantwortliches Familienoberhaupt, ein Rabenvater, ein Egoist, der rücksichtslos seiner Ruhmsucht nachgab – selbst wenn dies hieß, die eigene Frau auf gemeine Weise anzulügen. Das war nicht Mungo Park, der Held, Eroberer Afrikas und Entschleierer des Niger. Das war nicht anständig, sauber und edel – es war verachtungswürdig, und er verachtete sich dafür.
    Es würde keine Täuschungen mehr geben. Dessen war er sicher. Der Umzug nach Fowlshiels hatte nicht im geringsten mit der Expedition zu tun, die ihm die Regierung zugesagt hatte. Er hatte überhaupt nichts damit zu tun, daß er seine Angelegenheiten ordnen, Ailie und die Kinder in Sicherheit und unter den wachsamen Augen seiner Mutter haben wollte, absolut gar nichts. Nein, wegen so etwas fühlte er sich doch nicht gleich frei und ungehindert, jederzeit bereit, auf eine Kutsche nach London aufzuspringen. Nein, nein, nein. Er brauchte nur etwas Zeit zum Nachdenken. Sonst nichts.

WASSERMUSIK (LEISE WIEDERKEHR)
    Ein warnender kalter Hauch lag in der Luft, als Mungo nach Edinburgh abfuhr, ein Vorgeschmack auf bittere Nächte, die da kommen würden. Es war Mitte September, kurz nach seinem Geburtstag. Das Laub fiel, und morgens senkte sich kühler grauer Dunst über den Fluß wie die gespreizten Klauen einerKatze oder eines Bärs. Natürlich hatte es eine Party gegeben – Ailie hatte darauf bestanden, obwohl der Entdeckungsreisende bei alledem sehr verlegen gewirkt hatte, als wäre es dumm oder würdelos, als gäbe es, bei Lichte betrachtet, gar keinen Grund zum Feiern. «Aber Mungo, es ist dein dreiunddreißigster Geburtstag», hatte sie eingewandt. «Findest du nicht, daß das ein gutes Zeichen ist?» Er sah von seinem zerlesenen Exemplar der
Geographie
des Leo Africanus auf. «Wieso das?» Sie grinste wie ein Clown. «Naja», sagte sie, «für Christus war das doch ein ganz gutes Jahr, oder?»
    Zweiundzwanzig Gäste stießen auf das Wohl des Entdeckungsreisenden an, darunter Walter Scott, Hochwürden MacNibbit und Thomas Cringletie. Scott hatte

Weitere Kostenlose Bücher