Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
dicht vor der Küste von Senegal, befand sich also die Garnison des Königlichen Afrika-Corps. Inmitten von Hitze, Schmutz und Krankheit. Die Nahrungsmittelversorgung war dürftig, die Soldaten bettelarme Zwangsrekruten aus den Schiffsgefängnissen, Trinkwasser knapp, das Meer eine widerwärtige, gelblich schwappende Brühe. Entwürdigung, Entkräftung, am Ende der Tod. Die Dinge standen so schlecht, daß der Garnisonskommandant (ein Karrieresoldat namens Major T.   W.   Fitzwilliam Lloyd,dessen Ungehörigkeiten 5 seine Vorgesetzen dermaßen befremdet hatten, daß sie ihn vor die Wahl stellten, sich entweder diskret zu erschießen oder den Posten auf Goree anzunehmen) sich gezwungen sah, die Essensrationen zu halbieren, jene für Brandy zu verdoppeln und die ständigen Befehle auszugeben:
Trupp 1
zum Gräberschaufeln wie üblich.
Trupp 2
zimmert bis auf weiteres Särge.
    Es war der Winter 1805.   Die trockene, klimatisch zuträgliche Jahreszeit, in der in jede eingefallene Wange gesunde Röte stieg und ein schwaches, entrücktes Lächeln auf allen rissigen Lippen lag. In der die Insektenpopulationen rückläufig waren und die Sonne einem die Lungen wieder freibrannte und die Gedärme ein wenig trocknen ließ. Doch schon waren die ewigen Kräfte des meteorologischen Wechselspiels am Werk, die Erde rotierte auf ihrer schiefen Achse um die Sonne, Winde bliesen und Wolken türmten sich wie himmlische Armeen im Süden auf.
    Nicht mehr lange, und die Regenzeit würde einsetzen.

OH MAMA, CAN THIS REALLY BE THE END?
    Beim Aufwachen hat Ned Rise Kopfschmerzen. Oder nein. Nicht Kopfschmerzen. Eine Art generalisiertes, zugrunde richtendes Elend, das ihm ein Gefühl gibt, als würde er aus allen Poren bluten und sein Hirn ihm zu den Ohren raussickern. Schwach wie ein Neunzigjährigerstützt er sich im abgedunkelten Schlafsaal auf den Ellenbogen und lauscht dem Schnaufen und Stöhnen der anderen, die sich auf ihren verschwitzten Strohsäcken hin und her werfen. Er erkennt das rasselnde Keuchen von Jemmie Bird, einem seiner Kollegen im Arbeitstrupp, die orale Flatulenz von Samuel Purvey und von Zeit zu Zeit das heisere Pfeifen von Boyles, kaum zu unterscheiden vom Sirren der Moskitos. Es ist dunkel wie im Grab. Zwei Uhr? Drei? Ned will nach seiner Kürbisflasche mit Rum greifen, und auf einmal liegt er zusammengekrümmt auf der Erde, ein dämonischer Schmerz reißt an seinen Gedärmen, daß er sich verkrampft und die Zähne in den hölzernen Bettpfosten schlägt, bis der Anfall vorbei ist. Aber er geht nicht vorbei. Er kommt in immer höheren Wellen wie eine sturmgepeitschte See, bis Ned nur noch stöhnend und schaukelnd die Hände in den Bauch krallt wie eine Frau in den Wehen, die gleich ein Monstrum zur Welt bringt.
    Als er wieder aufwacht, liegt er auf dem Boden. Er ist patschnaß vom eigenen Schweiß, und seine Hosen sind von dem gelblichen Schleim verkrustet, den er schon seit Tagen absondert. Ein Gestank von Krankheit liegt in der Luft – von verhängnisvoller, alles verschlingender Krankheit wie eine hungrige, unersättliche Bestie   –, und irgend jemand winselt in der anderen Ecke des Raumes. In diesem Augenblick packt ihn wieder der Schüttelfrost, zunächst noch sanft, so wie ein Hund eine Ratte ins Maul nimmt. Dann aber schlägt er mit voller Wucht zu: Ned preßt die Beine an den Körper, seine Zähne klappern, sein Kopf schlackert auf der Wirbelsäule wie ein Stehaufmännchen. Die Kälte ist fürchterlich, schlimmer als die Fieberhitze. Er kann die Gletscherzungen spüren, die ihm Püffe versetzen, den dunklen, kalten Griff der Themse, die Tatzen der Eisbären, die auf seiner Brust tanzen, er starrt in die Finsternis und sieht kristallene Iglus und tote Eskimos im Schnee. Er will sich hochkämpfen, um auf sein Strohlager, unter dasbißchen Wärme der Kasernendecke zurückzutorkeln. Aber es geht nicht. Zusammengekrümmt muß er so liegenbleiben, während sich rings um ihn die Dunkelheit wie ein Maul öffnet.

EINE LADUNG ESEL
    Wimpel flattern im Wind, die Brise läßt Großsegel, Toppsegel und Klüver knattern, der Bug zerteilt die See glatt wie eine Sichel, Wale stoßen Fontänen in die Luft, Delphine spielen im Meer, und ein feiner, erfrischender Sprühregen aus Salzwasser hängt über der Reling wie ein Strahlenkranz. Himmel und Ozean passen zusammen, blau wie Delfter Porzellan, und die Sonne hängt dazwischen wie ein enormer Scheinwerfer – als wäre die Welt tatsächlich ein Theater und Schiff und

Weitere Kostenlose Bücher