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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gigantische Petrischale zur Kultur exotischer und schreckenerregend zerstörerischer Seuchen.
Du lern und bleib fern der Bucht von Benin
, ging ein Matrosenliedchen jener Zeit,
einer kommt raus und fünfzig sind hin.
    Fleckfieber, Frambösie, Typhus und Schlafkrankheit gediehen dort prächtig. Dito Hakenwürmer, Cholera und Pest. Im Trinkwasser lauerten Bilharziose und der Guineawurm, Tollwut in den scharfen Reißzähnen der Fledermäuse und Wölfe, Filarien im Speichel der Moskitos und Bremsen. Ging man raus, nahm ein Bad, trank das Wasser oder steckte etwas in den Mund, schon hatte man sie alle – Bazillen, Spirillen, Kokken, Viren, Pilze, Nematoden, Trematoden und Amöben   –, sie alle zerfraßen einem Organe und Knochenmark, verdarben das Augenlicht, schwächten die Nervenfasern, löschten das Gedächtnis aus wie ein flinker Schwamm, der über die gekritzelte Weisheit auf einer Tafel wischt.
    Kosmetisch gesehen waren die Filariosen   – Elephantiasis und Loa-Loa (auch als Zappelaugen-Krankheit bekannt) – ganz besonders verhängnisvoll. Bei der Elephantiasis tropica, die von Mücken übertragen wird, blockieren wimmelnde Fadenwürmer wie hinterlistige kleine Biber das Lymphsystem, was zu granulomatösen Hautveränderungenund zum Anschwellen von Hodensack und Beinen führt, die dann wie riesige, obszöne Früchte aussehen. Bei Loa-Loa dagegen sind die Verwüstungen auf die Partien oberhalb des Nackens konzentriert; die Krankheit wird durch den Stich bestimmter blutsaugender Fliegen übertragen, die in der Gegend derart massiert auftreten, daß die meisten Säugetiere vom Tagesanbruch bis zum Sonnenuntergang wie mit einem schwarzen Mantel von ihnen bedeckt sind – nachts übernehmen die Moskitos dann die Schicht. Das Endstadium der Infektion ist am Auftreten der geschlechtsreifen Würmer unter der Bindehaut des Auges erkennbar. Das Sich-Ringeln und -Schlängeln der Parasiten läßt sich darin gut beobachten: es sind äußerst lebendige schnurartige Wesen, die dort unbekümmert ihrem Rhythmus von Fressen, Kopulation und Ausscheidung nachgehen.
    Gelang es einem, diesen Schrecknissen zu entgehen, gab es noch Kala-Azar oder Leishmaniose. Diese chronische, immer tödlich verlaufende Krankheit zeigt sich im Auftreten von pustelartigen Geschwüren der Epidermis, schleichender Auszehrung und dem Anschwellen von Leber und Milz. Und schließlich war da noch Lepra, die gefürchtetste Seuche. Erbarmungslos in ihrer brutalen Deformation des Körpers, bösartig und scheußlich in ihrer allmählichen Verstümmelung der Gliedmaßen und der langsamen, aber sicheren Entartung des Gesichtsgewebes, die ihre Opfer mehr und mehr wie Dörrpflaumen aussehen ließ.
Balla jou
hieß sie bei den Eingeborenen: unheilbar.
    Außerdem gab es natürlich auch die eher prosaischen Erkrankungen, die hauptsächlich dafür verantwortlich zeichneten, daß Tausende von französischen, englischen, holländischen und portugiesischen Kolonisten sich die Kosten für Grabstellen in Paris, London, Amsterdam oder Lissabon sparten. Ganz oben auf der Liste stand die Malaria,dicht gefolgt von Dysenterie und Gelbfieber. Ihre Opfer   – Kaufleute, Sklavenhändler und Glücksritter gleichermaßen – schwitzten und schissen sich buchstäblich zu Tode, oft schon eine Woche nach ihrer Ankunft in dem gemeinhin als Fieberküste bezeichneten Landstrich.
    Heilung gab es keine. Diverse Kurpfuscher verschrieben Aderlaß, Kalomel, Abführmittel und Emetika, die einen zum «gelinden Kotzen» brachten. Oder das Pulver des Dr.   James, ein Produkt auf Talkum- und Boraxbasis, das zur Therapie nicht viel mehr beitrug als kandierte Orangenschalen oder Roßhaarkissen. Die China- oder Perurinde war zwar etwa seit 1640 als wirksames Mittel gegen Malaria bekannt, doch die Beweislage am Anfang des 19.   Jahrhunderts war ungünstig für das Chinin, so daß man es wie alles andere zu den Quacksalbereien zählte. Die armen Soldaten und Entdecker, die in jenen Tagen unter diesem Unstern durch die Gegend stolperten, hatten nicht die leiseste Ahnung, was eigentlich diese Unmasse gräßlicher Krankheiten auslöste, die ihre Reihen dezimierte und ihre Hoffnungen zunichte machte. Allgemein wurde angenommen, daß «Miasmen», «giftige Ausdünstungen des Erdbodens», die Quelle all dieser verheerenden Fieber und Stoffwechselstörungen seien. Die Moskitos, Fliegen und Sandflöhe? Wozu Energie aufwenden, um sie totzuschlagen?
    Auf Goree, einer kleinen Beule aus vulkanischem Gestein

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