Wassermusik
Mannschaft gerade kurz vor dem erlösenden Schlußakt in einer Galaaufführung zu Ehren des Monarchen. Die Atmosphäre ist erfüllt vom fröhlichen Schreien der Esel, deren Nüstern nun die reichen, vielfältigen Dufte des nahen Festlands einsaugen, vom Gejubel der Seeleute und dem wilden Überschwang der Tonfolgen auf Georgie Scotts Klarinette, von «Wohl übers Meer nach Skye» über «Fidele Matrosen, füllt eure Gläser» bis zu «Doch ach, der Ackersmann war tot». So etwas baut einen eben auf.
Mungo Park steht an der Reling der
Crescent
, des Truppentransporters Seiner Majestät, und blickt über die prachtvollen blauen Wogen auf die Insel Goree, die sich voraus im Meer erhebt, zinnenbewehrte Festungsmauern und große Kasernengebäude aus Stein, die in der Sonne flirren wie Märchenschlösser. An seiner Seite stehen Zander, Georgie Scott und die vier Zimmerleute, die er im Schiffsgefängnis von Portsmouth rekrutiert hat. Hinter ihm fünfundvierzig Esel. Sandfarben und mit sturen, rot unterlaufenen Augen. Sie lärmen und stinken, sie heben überall den Schweif und verpesten das Deck.
«Wir sind da, Zander», ruft der Entdeckungsreisende, einen Arm um den Schwager geschlungen. «Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten!»
Schon möglich. Aber an den blitzblanken Konferenztischen von London und Portsmouth hätte man sie fast noch aufgehalten, wäre die Expedition von Pitts schwachbrüstigem Kriegskabinett und dem kurzatmigen Traumtänzer Lord Camden um ein Haar abgeblasen worden. Im September war Mungo – auf Camdens dringende Bitte – überstürzt aus Schottland gekommen, fest überzeugt, man werde noch im selben Monat aufbrechen. Er hatte Ailie ausgetrickst, Zander heimlich informiert und eine detaillierte Liste über Proviant und Gerätschaften für die Expedition aufgesetzt. Er hatte sich sogar etwas ausgedacht, das auch dem geldgierigsten Bürokraten die Sache schmackhaft machen mußte. Auf Sir Josephs Rat hatte der Entdeckungsreisende die praktischen Vorteile der geplanten Expedition weit mehr als die wissenschaftlichen hervorgehoben. Es gebe Gold im Tal des Niger, behauptete er – mehr noch als in Guinea oder im Lande der Aschanti – und eine Unzahl primitiver Negervölker, die darauf brannten, es in dicken Klumpen gegen ein paar Glasperlen, Spiegel oder Soßenschüsseln aus Zinn einzutauschen. Und wenn die Briten den Handel nicht machten, würden es die Franzosen tun. Den Niger zu erschließen, gebiete nicht allein der Forscherdrang, auch nicht allein der Nationalstolz – es liege ganz einfach ein prima Geschäft darin.
Die Regierung biß an. Camden sagte seine finanzielle Unterstützung zu und wollte dem Entdeckungsreisenden freie Hand in der Auswahl von Tauschwaren, Packtieren, Ausrüstung und Mannschaften lassen. Mungo würde man zum Hauptmann machen, seinen Schwager zum Leutnant. Georgie Scott, ein alter Schulfreund und ein entfernter Verwandter des Balladendichters, sollte als Zeichner unddritter Offizier mitkommen. Zudem konnte der Entdekkungsreisende aus dem Schiffsgefängnis von Portsmouth vier Zimmerleute und aus der Garnison Goree einen Offizier mit fünfunddreißig Soldaten mustern. Die Zimmerleute würden die Barkassen bauen, in denen der Entdeckungsreisende den Niger hinabzufahren gedachte; die Soldaten würden Schutz vor den Mauren bieten. Was den Lastentransport anging, so wollte Mungo auf den Kapverdischen Inseln anlegen und dort fünfundvierzig Esel erstehen – dies zusätzlich zu den fünfzehn bis zwanzig Negern, die er in Pisania anwerben würde.
«Prächtig, prächtig», sagte Camden und lächelte unter seiner Ministerperücke hervor. «Hervorragend. Scheuen Sie nur keine Kosten, mein Sohn, wir stehen hundertprozentig hinter Ihnen.» Er nahm einen silbernen Brieföffner vom Schreibtisch und begann sich die Nägel zu säubern. «Nur ein kleines Problem gibt es da noch – wie denken Sie sich eigentlich den Rückweg?»
Das war eine gute Frage. Niemand wußte genau, wo der Niger mündete – es herrschten sogar Zweifel daran, daß er überhaupt ins Meer floß. Eine der Lehrmeinungen wurde von Major Rennell angeführt, dem anerkanntesten Geographen jener Zeit, der eisern den Standpunkt vertrat, entweder verliere der Niger sich irgendwo in der Großen Wüste oder er speise den Tschadsee. Wenn dem so war, säße am Schluß die gesamte Expedition in der Mitte des Kontinents auf dem trockenen, ohne jede Möglichkeit, gegen den Strom zurückzufahren, vor sich einen langen, riskanten
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