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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Marsch quer durch unerforschtes Gebiet. Andere dagegen glaubten, der Niger sei vielmehr ein oberer Zufluß des Nil oder des Kongo; in diesem Fall könnte die Expedition gefahrlos – womöglich sogar äußerst gemütlich – bis zur Küste gelangen. Mungo war von letzterer Ansicht überzeugt und meinte hartnäckig, sobald sie die Kongomündung erreicht hätten, wäre es ein Leichtes, auf einem Sklavenschiffnach St.   Helena oder Westindien weiterzukommen. Er sah Camden mit festem Blick an. «In jedem Falle, Sir, bin ich bereit zu tun, was ich tun muß, und die Folgen daraus zu tragen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.»
    Der Kolonialminister strahlte ihn an wie ein vergreister Opa und schenkte aus einer Karaffe, die auf dem Schreibtisch stand, zwei Gläser Rotwein voll. «Gut», knurrte er. «Dann also los. Ich muß nur noch Ihren Entwurf dem Premier vorlegen und die Gelder anfordern, dann können Sie im Nu auf die Reise gehen.»
    Das war im September. Im Oktober stand die Debatte der Vorlage im Kabinett unmittelbar bevor. Im November begann der Entdeckungsreisende zu verzweifeln. Es war die gleiche Geschichte wie bei dem Debakel im vorigen Jahr, als er aus Peebles nach London gehetzt war und dann tatenlos herumgehangen hatte, während Addington den Sessel für Pitt räumte, Hobart für Camden, und Sir Joseph, mit einem Gesicht so lang wie eine Dogge, ihm irgendwann den Rat gab, heimzufahren und Arabisch zu lernen. Einfach kriminell war das. Ein verfluchter Jammer, eine schändliche Vergeudung. Aber was konnte er tun? Er war machtlos.
    Der November nieselte dahin. Mungo saß im dunklen Zimmer und starrte aus dem Fenster. Er schlug den Kopf gegen die Wand, spielte mit Tintenfässern, zerknüllte Papier. Dann packte ihn die Wut. Das laß ich mir nicht noch mal gefallen, zum Teufel, brüllte er immer wieder, bis die kahlen Wände erzitterten und seine Glieder vor Entschlossenheit und Zielstrebigkeit zuckten. Endlich zu handeln kam wie eine Erlösung. Den ganzen Dezember hindurch verbrachte der Entdeckungsreisende jede wache Minute damit, für die Expedition zu werben: er verschickte Petitionen, erschlich sich die Gunst von Beziehungskrämern und Maklern der Macht, sprintete wie ein Dorftrottel den Kutschen von Grafen und Earls hinterher und trank dermaßenviele Gläschen Sherry mit irgendwelchen Beamten, daß sich ihm der Kopf wie eine Windmühle drehte und seine Leber dem Schockzustand nahe war. Alles vergebens. Neujahr kam und ging. Die Sache schien aussichtslos.
    Indessen jedoch arbeiteten die trägen Mechanismen der Bürokratiemaschine – jenes majestätischen, zivilen Uhrwerks, das durch die vereinten Kräfte von Zufall, Gier, Intuition und Einfluß festlegt, was ist und was sein wird – emsig weiter und gaben hinter verschlossenen Türen der Zukunft Gestalt. Sir Joseph machte energisch Propaganda, eine Nation von Ladenbesitzern schrie nach neuen Märkten, und Camden, der mit dem Tempo und der Promptheit eines Dreizehenfaultiers vorging, begann endlich doch Pitts Interesse zu wecken. Der entscheidende Moment kam eines Abends während einer Theaterpause. Camden ließ sich neben dem Premier in den Sitz plumpsen, bot ihm eine Prise Schnupftabak Marke «Araby Spice» an und brachte sein Anliegen vor. Ja, pflichtete Pitt ihm bei, der Niger sollte dem Handel erschlossen werden – dem britischen Handel   –, und natürlich sei Gold hocherwünscht. Tags darauf wurden die Mittel bereitgestellt, die Offizierspatente gesiegelt, und das Kanonenboot
Eugenia
zum Begleitschutz der
Crescent
bis Goree beordert, dies als kleine Abschreckung der französischen Kaperschiffe. Mungo zitierte Zander herbei, packte seine Sachen und setzte, besser spät als gar nicht, am 29.   Januar 1805 die Segel.
     
    Wie der Entdeckungsreisende so an der Reling der
Crescent
steht, zum erstenmal seit über sieben Jahren die Küste Afrikas erblickt und sich vom Jubel der Besatzung und den glückseligen Schreien der Esel anfeuern läßt, schleicht sich auch ein sorgenvoller Gedanke ins rosige Reich seines Optimismus ein. Es sind meteorologische Bedenken   – Bedenken, die sich aus seiner früheren langen und leidvollenKenntnis der Witterungsverhältnisse in diesen Breiten speisen. Man schreibt den 28. 3.   Ein Datum, das dem Märzende schon sehr nahe kommt, praktisch ist es fast Anfang April. Der Entdeckungsreisende denkt an Camdens schnurrbärtiges Gesicht und die gepuderten Schnupftücher, an die hinhaltende Etepetete-Verbindlichkeit all

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