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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Alexander dem Großen und Horatio Nelson gleichkommt   …»
    «Scheiß aufs Edle!» schreit ein Mann ganz vorn.
    «Scheiß auf Ansprachen!» ruft ein anderer. «Nehmt mich! Nehmt mich!»
    Fast augenblicklich nimmt die Menge den Refrain auf, alle recken die Arme hoch wie Schulkinder und jammern und klagen: «Mich, mich, ach, nehmt doch mich!» Von nun an ist das Chaos perfekt. Kranke werfen die Krücken weg und tanzen wie Primaballerinen herum, ausgezehrte Gerippe mühen sich beim Heben von Baumstämmen und Felsblöcken,Fieberopfer rezitieren Kochrezepte und die Texte von bekannten Schlagern, um ihren klaren Verstand zu demonstrieren. Es kommt zu Schlägereien. Verwünschungen werden ausgestoßen, Steine und Lehmklumpen hageln auf die Menge nieder wie eine Strafe Gottes. Plötzlich flammt eine Fackel in der Dunkelheit auf – dann noch eine und noch eine. Der Mob drängt immer weiter auf die wacklige Bambusbalustrade des Majors zu und skandiert dabei «Mich, mich, mich, mich», tollwütig und bedrohlich, eine Katastrophe liegt in der Luft   … und dann hört man, wie der Entdeckungsreisende sich räuspert.
    Die Menge kommt schlagartig zum Schweigen. Das Geräusch des Gezischels ist allgegenwärtig wie das Branden eines fernen Ozeans. Mungo ist tief berührt von dem Spektakel, von dieser Energie, diesem Drängen von dem beinahe ehrfürchtigen Getöse, das er ausgelöst hat, aber auch von der Stille innerhalb weniger Augenblicke. Mit der Sicherheit des geborenen Volksredners tritt er vor. «Ich brauche Männer!» donnert er, geht ganz in seiner Rolle auf, in voller Fahrt auf der emotionalen Schiene, mit jeder Faser ein Schauspieler, der jetzt heldenhafte Ausmaße annimmt: «Beherzte Männer von echtem Schrot und Korn, beherzte Männer bis zum Schluß!»

NED DER UNBERÜHMTE
    Die Sonne brennt am Himmel, als wäre sie frisch erschaffen und probiere nun ihre Muskeln aus, sie hämmert das erste Glied einer Kette von Megatonnen an Nuklearenergie los, braust auf mit dem ganzen Selbstvertrauen der Jugend und der erhebenden Aussicht auf das eigene nie erlöschende Feuer. Mit anderen Worten, es ist heiß. Verflucht heiß. Und still wie die Oberfläche eines unbewohnbaren, verbotenen Planeten. Kein Vogel keckert in den staubigen Büschen, kein Insekt brummt,summt oder sirrt, keine Eidechse kratzt sich träge mit dem Hinterbein am Hals. Nicht einmal ein Lüftchen regt sich, um die Vegetation kurz anzuheben und gleich wieder fallen zu lassen.
    Langsam, ganz langsam drängt sich in diese Szene ödester Einsamkeit nun menschliche Anwesenheit hinein – über eine leichte Bodenerhebung hinweg sieht man Trupp 1 allmählich an den grellen Mauern des Forts vorbeiziehen und ein Feld von vulkanischem Schutt überqueren. Die Mitglieder der Beerdigungseinheit, an die dreißig Mann, wanken unter der Last der Pickel und Schaufeln und der vier frischgezimmerten Särge, die sie auf den Schultern balancieren. Eine halbe Stunde und vierzehn Ohnmachten später haben sie die ungefähr hundert Meter unwegsames Gelände hinter sich gebracht, die sie von ihrem Ziel trennen: einem kleinen Sandhügel über der Küste, der da und dort von Grabkreuzen verunstaltet wird. Als sie ihre Bürde absetzen, hört man einige der Männer sich darüber empören, daß man sie in der größten Mittagshitze Gräber schaufeln läßt. Üblicherweise liegen die Toten ein oder zwei Tage stinkend herum – oder zumindest bis zum Einbruch der Nacht. Doch heute früh hat der Major angeordnet, die Verluste des Vortags sofort zur Beerdigung zu entfernen, zweifellos aus Gründen der Etikette in Anbetracht der Gegenwart des Entdeckungsreisenden.
    «Also gut, Männer», schnauzt Leutnant Martyn, «fünf Minuten. Aber danach erwarte ich, daß ihr wieder hochkommt und auf diese steinharte Erde hier losgeht, als wär’s die Kehle von dem Richter, der euch verurteilt hat.» Martyn ist neunzehn und voller Enthusiasmus. Seine Uniform ist makellos, seine Haltung steif. Ja, er liebt das Militär.
    Als Reaktion auf das Kommando werfen sich seine neunundzwanzig Untergebenen zu Boden wie nasse Lappen, keuchen und stöhnen, grabschen nach Wassersäcken und Rumflaschen. Sie sind schon arme Schweine, dieseMänner, bärtig und sonnenverbrannt, ihre Uniformen ein einziger Schandfleck, verdreckte Lumpen, um Kopf und Füße und die parasitenübersäten Beine gewickelt. Sie sind ungebildet und ungelernt, Säufer und Schläger, Einbrecher und Mörder, unverbesserlich bis ins Mark. Andererseits,

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