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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dieser Lords und Ladies in London, an den ganzen Morast aus feiner Gesellschaft und schwülstiger Bürokratie. Ausgetrickst hat er das System dann doch, das schon, und gerade bricht seine allergrößte Stunde an   … trotzdem bleibt die traurige Wahrheit, daß in den monatelangen Kämpfen gegen das Beharrungsvermögen der Regierung die ganze Trockenperiode draufgegangen ist, ein lauer, erfrischender Tag um den anderen. Im Mai – spätestens im Juni – wird der Regen einsetzen. Was dann?
    Doch so rasch ihm der Gedanke kommt – tückisch und gemein wie eine dieser kurzen, schmerzhaften kleinen Einsichten in die eigene Sterblichkeit, die in einem aufsteigen und plötzlich die Bewegung der Gabel zum Mund erstarren lassen oder im Konzertsaal das arglose Wackeln des Fußes im Rhythmus der Musik unterbrechen   –, so rasch schiebt er ihn beiseite. Wozu sich in einem solchen Augenblick mit pedantischer Nörgelei belasten? Immerhin ist er hier, zurück auf der Bühne seines größten Triumphs. Er ist hier mit einer Schiffsladung Proviant und Tauschgütern, Kisten voll Waffen und Munition, hinter sich hat er die Regierung, neben sich seine Busenfreunde. Er ist hier und steht kurz davor, eine Expedition in großem Stil anzuführen, mit Trägern und bewaffneten Eskorten und den Rechten und Privilegien eines Armeehauptmanns im Dienste Seiner Königlichen Majestät. Hier steht er an Deck der
Crescent
, den Wind in den Haaren, mit einer Ladung Esel.

ICH BRAUCHE MÄNNER VON ECHTEM SCHROT UND KORN
    In den Kammern und Schlafbaracken des Forts geht das Gerücht, eine Berühmtheit sei auf dem Gelände aufgetaucht. Mungo Park, der bekannte Afrikaforscher und Bestseller-Autor, der einzige Europäer, der je den Niger zu Gesicht bekommen habe und auch lebendig wiedergekommen sei, habe sich in ihrer Mitte eingefunden. Die Neuigkeit sorgt sofort für Aufregung.
    «Wer?»
    «Mungo wie?»
    «Nie gehört von dem Vogel.»
    «Soll der ’n Weißer sein?»
    Doch gerade als die Männer in ihre altgewohnte Apathie zurückfallen (eine Art abwärtsgerichtete Spirale der Teilnahmslosigkeit, die nur vom Saufen, Spielen, Huren oder Sterben durchbrochen wird), flammt das Interesse erneut auf: der Besucher ist auf der Suche nach Freiwilligen. Freiwilligen! Um mit ihm über Berg und Tal zu latschen, drüben auf dem weiten, großen Festland – und zwar zum doppelten Sold! Wirklich wahr. Jemmie Bird hat das Ganze mitgehört, als er beim Major servieren war. Aber das ist noch gar nicht das Beste. Der Entdeckungsreisende ist vom Kolonialministerium ermächtigt, jedem Mann, der ihn begleitet, die Freiheit anzubieten – inklusive vollem Straferlaß für all jene, die wegen Verbrechen verurteilt sind, sowie die Rückfahrt nach England.
    Großer Gott im Himmel, sei gepriesen, hier ist sie, sie fällt ihnen in den Schoß wie der Gral – die Chance, diesem Höllenpfuhl zu entkommen!
    Das Gerücht verbreitet sich wie ein Lauffeuer, das der Harmattan noch anfacht. Um neun Uhr abends hat sich die gesamte Garnison – alle 372   Männer (beziehungsweise alle 368, denn in der Zwischenzeit sind vier gestorben) – vordem Majorsquartier zusammengerottet, und Mann für Mann – selbst die Kranken, die Hinfälligen und die lebenden Toten – bitten, flehen, jammern, schmeicheln und betteln sie darum, bei der Entdeckungsreise dabeisein zu dürfen. Als der Major in voller Galauniform, ein Sträußchen aus Orchideen und Schleierkraut an die Brust gepreßt, neben sich den flachsblonden, sagenumwobenen Neuankömmling, auf die Veranda tritt, bricht ein Tumult los.
    «Männer!» brüllt er über die Menge hinweg. «Tapfere Burschen des Königlichen Afrika-Corps, hört mich an!»
    Langsam ebbt der Lärm zu vereinzelten Flüchen und Wutausbrüchen ab, dann zu einem leisen, tückischen Knurren wie von einem Rudel Hunde, die einander gerade zerfleischen, und schließlich zu verdrossenem Gemurmel und dem tristen Ton todkranken Keuchens.
    «Wie ihr ja sicher schon alle gehört habt», ruft der Major, «ist dieser weltberühmte Herr zu meiner Rechten Hauptmann Mungo Park   –» . (hier wird er von einer Säuferstimme unterbrochen, die ein dreifaches «Hipp, hipp, hurra!» auf Mungo Park anstimmt, dann rufen alle wild durcheinander: «Hört, hört!»). Der Major nutzt die Pause, um Mungos Arm in Siegerpose in die Höhe zu heben, bevor er fortfährt: «Eine Mission führt Mungo Park zu uns – eine so edle und wagemutige Mission, daß sie den gewaltigen Feldzügen von Cäsar,

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