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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gegen die Rippen. Abergläubisch drückt er sich heimlich die Daumen und spricht leise ein kurzes Gebet.
    Sie sind in einer Sackgasse, das ist ihm klar. Bis jetzt hatten sie noch Glück – sind ohne Führer vorangekommen, konnten wie durch ein Wunder weitere Konflikte mit den Eingeborenen vermeiden   –, doch von hier an wird es anders sein. Falls sie in Dindiku keinen Führer anheuern können, ist alles vorbei. Denn Mungo hat sich für eine neue Strecke entschieden – entlang des Konkadu-Gebirges   –, statt nordwärts in die fanatischen Reiche von Kaarta und Ludamar zu ziehen oder die Südroute durch die Jallonka-Wildnis zu riskieren. Bis jetzt haben sie immerhin vertraute Pfade beschritten, obwohl es schon fast acht Jahre her ist und ihm eine ganze Reihe von Navigationsfehlern unterlaufen ist. Aber direkt nach Osten in die Berge zu gehen   … Mungo will gar nicht daran denken.
    Abrupt dreht er sich im Sattel um und ruft Zander zu: «Ich reite schon mal vor. Übernimm du das Kommando und führ die Leute zu dem Dorf da in dem Tal.»
     
    Dindiku. Es ist genau so, wie er es in Erinnerung hat. Bestellte Äcker dicht neben tiefen, düsteren Wäldern, schattige Bäume erheben sich wie Sonnenschirme über die sauberen Strohhütten mit den kegelförmigen Dächern und den Ringmauern aus hartem Lehm. Wilde Begonien und Farne entlang der Straße, von roter und weißer Winde überwucherte Baumstämme, ein Schwarzkehlchen massiert die Schatten mit fließenden, ausgehaltenen Noten und raschen,knappen Trillern. Und der süße Klang von Wasser, ein Rieseln und Rauschen, von einer der seltenen wundersamen Quellen, die die Trockenzeit überdauern. Ist das Hibiskus, was er da riecht?
    Der erste Mensch, den Mungo trifft, ist ein Junge von etwa elf Jahren, etwas dicklich, gekleidet in eine Mini-Toga und mit einem verteufelt vertrauten Gesichtsausdruck. Kann es denn sein? «He, Junge!» ruft er, aber trotz seiner Tendenz zum endomorphen Exzeß verschwindet das Kind mit der erstaunlichen Behendigkeit eines Zwergböckchens im Busch. Sonderbar, denkt der Entdeckungsreisende. Hab das Kerlchen wohl erschreckt. Er denkt nicht mehr daran, als er weiter ins Dorf hineinreitet.
    Wenig später steigt er inmitten eines Kreises von nackten Kindern und Frauen mit breiten Hintern in einem staubigen Hof vom Pferd, der mit Palmblättern und Holzspänen übersät ist. Er grinst. Verteilt Glasperlen und Süßigkeiten. «Kennt ihr mich noch?» fragt er in bestem Mandingo. «Mungo Park? Den Entdeckungsreisenden?»
    Falls sie ihn noch kennen, zeigen sie es jedenfalls nicht. Sie umringen ihn nur mit ausgestreckten Händen, an die vierzig sind es schon. Geduldig, mit einem Grinsen und einem Diener für jede Matrone und enthusiastisch jedem Kind den Kopf tätschelnd, teilt er noch eine Runde Perlenketten und Dauerlutscher aus. Nach etwa zehn Minuten ist seine Wundertüte ziemlich leer und die Frauen haben ihm bereits den Rücken gekehrt, kichern und plappern unter sich, tauschen Granathalsbänder gegen Korallenteile, rennen in ihre Hütten, um die Wirkung der neuen Schmuckstücke auf einem alten Kleid zu probieren. Der letzte Kunde, bemerkt Mungo überrascht, ist der fette Kleine, dem er zu Anfang begegnet ist. Die kurzen Wurstfinger schnellen vor, umschließen den Lutscher und stecken ihn flink in einen vom Handgelenk baumelnden
saphi
, wobei der Junge schon wegzuckt, als wollte er einem Schlag ausweichen.«Warte», bringt Mungo hervor und packt ihn am Arm. «
Kontong dentegi –
wie heißt du, mein Sohn?»
    Der Junge starrt zu Boden. Mungo faßt es kaum, wie sehr er Johnson ähnelt, bis hin zum Schnitt und der Struktur seines Haars, zur Form der Ohren, dem Schmollmund und dem spöttischen Blick des geborenen Clowns. «Oyo», sagt der Junge schließlich. «Wusaba Oyo.»
    Oyo. Der Name läßt das Blut des Entdeckungsreisenden pulsieren. «Und wo ist dein Vater?»
    Der Junge zeigt auf eine Hütte am Ende des Platzes – natürlich, denkt der Entdeckungsreisende wie in einem Déjà-vu – das ist Johnsons Hütte. Genau wie damals. Die saubere halbhohe Mauer aus Lehm, der steile Kegel des Palmendaches wie ein Chinesenhut, und dahinter die abgezäunten Gassen des Frauentrakts mit den kleineren Kegeldächern, wie lauter Miniatur-Vulkane. Wie in Trance wankt Mungo auf Johnsons Hütte zu, Erinnerungen strömen auf ihn ein, etwas ist ihm in der Kehle steckengeblieben.
    Davor sitzt eine Frau, eine Sklavin, sie stampft Hirse mit einem Mörser, groß wie ein

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