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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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entsetzten Schrei fallen. «Mein Gott!» keuchte er. «Hauptmann Park! Leutnant!»
     
    Es war Ned Rise, der Billy dann herunterschnitt.
    Die Tore der schweigenden Stadt waren fest verschlossen. Hinter sich die Formation der Soldaten mit angelegten Musketen, näherten sich Ned und Jemmie Bird den bedrohlichen Wällen. Eine Reihe starrer schwarzer Gesichter sah ihnen von oben zu. Zwei am Himmel schwebende Geier machten sich gemächlich in weiten Spiralen an den Abstieg. Irgendwo begann ein Hund zu bellen.
    Boyles baumelte an einem Fuß auf halber Höhe der Mauer, die Arme hingen schlaff herunter. Auf seinem Gesicht lag ein blödes Grinsen, als wäre das Ganze der krönende Höhepunkt irgendeiner mächtig ausgefeilten Nummer, mit der er sich einen Drink verschaffen wollte. Aber für ihn gab es keine Drinks mehr: er war tot. Ned sah die lange purpurrote Wunde, die sich von den Rippen abwärts zog und in den Falten von Billys Hose verschwand. Aufgeschlitzt hatten sie ihn. Aufgeschlitzt und wieder gefüllt, wie ein Rebhuhn. Mit Sand.
    Jemmie Bird machte Ned eine Räuberleiter und schob ihn die Mauer hinauf. Ned klammerte sich an den harten Lehm wie eine Katze, seine Finger krallten nach Halt, während er das Becken gegen die Wand preßte und ganz langsam weiterkletterte. Die Sonne war wie ein Rasiermesserhieb quer über die Augen. Das dumpfe, träge Summen der Fliegenschwärme dröhnte in seinen Ohren. In der Stille und der Hitze, unter dem Himmel, der bis an die Ränder des tiefen schwarzen Alls zurückgewichen war und all das Furchtbare und die Leere mit einem trügerischen blauen Schleier zudeckte, machte Ned eine Verwandlung durch. Er spürte es mit jedem Zentimeter, den er höherkam, mit jeder Fuge und Vertiefung, die seine Finger und Zehen fanden, es nahm von ihm Besitz, dieses neue Gefühl für sich selbst und das unbarmherzige, bittere Universum, als wäre die Mauer ein Orakel, ein Gral, ein strahlender Quell kosmischer Realität. Er dachte an Billy: armer plattköpfiger Tropf, armer unschuldiger Kerl, gerade du. Er dachte an Fanny, an Barrenboyne, an seine eigene trostlose Kindheit, die noch eine Wonne gewesen war gegen das, was er jetzt mitmachte, hier in diesem Moment, da er eine rauhe, schmerzende Felswand am Ende der Welt emporkroch, umgeben von Wilden und Verbrechern und Mondkälbern, da er sein Leben riskierte, um den verstümmelten Leichnam des einzigen Freundes zu bergen, den er je gehabt hatte. Jederzeit konnte einer der Schwarzen einen Stein oder Speer herunterwerfen. Sie konnten ihn an der Mauer festnageln wie eine Küchenschabe. Aus den Toren geströmt kommen und sie alle abschlachten. Na wunderbar. Sollten sie doch. Ihm wäre es nur recht.
    Stück für Stück geht es weiter, jetzt fünf Meter über dem Boden. Billys im Todeskrampf gekrümmte Fingerspitzen streichen ihm übers Gesicht, dann packt er den steifen, kalten Unterarm seines Freundes und zieht sich höher, noch höher, das unheimliche, starre Grinsen, Schmeißfliegenkriechen dem Toten aus Mund und Nasenlöchern. Wem hatte Billy je ein Leid getan? Und überhaupt, wem hatte denn er, Ned Rise, je ein Leid getan? Wer nahm da die Wertung vor? Und was machte es schon aus? Ned streckte sich und hackte in voller Wut auf den Strick ein. Ich hab das nicht verdient, ich hab das nicht verdient, ich hab das nicht – wiederholte er immer wieder wie im Gebet. Er wollte sterben, er wollte leben. Dann wurde es ihm klar, plötzlich und abrupt, in einer blitzartigen Erkenntnis – er hatte eine Mission auf Erden. Fast konnte er die Trompeten der Erzengel, das Rascheln alter Pergamentrollen hören. Ned Rise, erwählt in schimmerndem Strahlenkranz. Er hatte eine Mission, und zwar diese: Smirke eliminieren, Park einwickeln und die Führung der Expedition übernehmen. Andernfalls waren sie alle verloren. Wie Billy.
    Zischend riß der Strick, und Boyles’ Leiche fiel, plötzlich befreit, wie eine Rinderhälfte zu Boden. Die schwarzen Gesichter verschwanden von der Mauerkrone. Staub wirbelte auf. Ned rührte keinen Muskel, hing nur reglos unter der bösartigen Sonne, der Gestank von Tod und Hoffnungslosigkeit in der Luft, sein Körper schleimig vor Schweiß, klebrig wie ein halbfertiges aus dem Mutterleib gerissenes Wesen. So hing er dort, ein Mann mit einem Ziel, ein Mann, der kratzen und beißen, manipulieren und manövrieren würde – ein Mann, der überleben würde.

ALIAS ISAACO
    Die Straße nach Dindiku ist lang, staubig und trocken. Sie führt die

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