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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Expedition einen ausgetretenen Pfad entlang, durch Woulli, Tenda und Sadadou, über die regenhungrigen Flüsse Nerico und Falemé, durch Gegenden, wo man um Weiße inzwischen kein Aufhebens mehr macht, in gewaltige Gebiete, wo sie nicht mehr als ein Gerücht sind, Dämonen zum Erschrecken von Kindernund zum Einschüchtern widerspenstiger Sklaven. Wenn sie in dieses oder jenes Dorf getorkelt kommen, fußlahm und müde, die Zungen schwer vor Staub, die Augenlider zu sonnengedörrtem Blinzeln arretiert, wissen Mungo und seine geographischen Missionare nie, was sie erwartet. Werden die Einwohner auf dem Absatz kehrtmachen und davonrennen, als hätten sie den Teufel persönlich gesehen? Werden sie den Blick abwenden und ihren Geschäften nachgehen, als bemerkten sie gar nicht, daß ihr Dorfplatz mit vor Durst rasenden Eseln und zerlumpten weißen Sonderlingen bevölkert ist, die gerade von einem anderen Planeten gelandet sind? Werden sie automatisch nach Speer und Köcher greifen? Oder werden sie sie mit einem Huhn oder einer Ziege empfangen, die Frauen groß und barbusig und nach Palmöl duftend, die Männer gelassen und milde wie Landpfarrer und Gutsherren? Jedes Dorf ist ein Code. Manchmal kann ihn der Entdeckungsreisende knacken, manchmal auch nicht.
    Immerhin ist es ihm gelungen, eine Neuauflage des Vorfalls, in dem er Boyles, zwei Esel und ein halbes Vermögen an Tauschgütern und Kauris verloren hat, zu vermeiden. Mit ein bißchen Diplomatie im voraus – wobei hauptsächlich
Dutis
mit Geschenken und Komplimenten überhäuft und die Männer und Tiere hart an der Kandare gehalten wurden – konnte er unterwegs sogar Wasser und Proviant erstehen und hie und da die ausgelaugten Esel austauschen. Auch mit dem Wetter hat er Glück – bisher halten sich die Regenwolken zurück, und seine Leute scheinen relativ gesund. Wenn sie auch pausenlos nörgeln und meckern. Sie wollen umkehren, zurück nach Goree, sie haben genug von dem ewigen Reis, sie wollen dreifache Rum-Rationen, sofortige Entlassung, Gefahrenzulage. Die Füße tun ihnen weh, die Hitze ist nicht auszuhalten, die Kehlen sind trocken, Hirne brutzeln, Mägen knurren, sie haben Ohrenschmerzen, Kopfschmerzen und Zahnschmerzen, morgensist ihnen schwindlig, und sie wollen nicht aufstehen. Inzwischen bereut der Entdeckungsreisende so manche Wahl seiner Mannschaft – vor allem Bird und M’Keal, die beide seit dem Abmarsch aus Goree pausenlos blau sind.
    Doch mag er auch von den meisten enttäuscht sein, so ist Ned Rise jedenfalls ein Geschenk des Himmels. Nüchtern und fleißig, hat neben dem eigenen auch die Esel seiner Gefährten im Auge, ist immer bereit zur Teilnahme an einem Spähtrupp, zum Palaver mit Eingeborenen, zum Zeltaufschlagen, Holzhacken, Wasserholen. Er gehört zu der Sorte Männer, die den Mut haben, unerwartet Verantwortung zu übernehmen, wenn etwas schiefgeht und die übrigen umherirren und die Hände ringen wie Schulmädchen oder bei einer Flasche Rum Zuflucht suchen; er ist von der Sorte, die sich nie geschlagen gibt, ein harter Typ, der Afrika erobern will, statt die Waffen zu strecken und sich auffressen zu lassen. All das hat er, und außerdem einen Kopf auf den Schultern. Er kann lesen, schreiben und rechnen, und ein wenig klassische Bildung hat er auch. Er hat schon genug Mandingo aufgeschnappt, um beim Kontakt mit den Einheimischen zu helfen, wenn er in den langwierigen Verhandlungen über Wegezölle, Zutrittsrechte, Routen und Entfernungen, Gastgeschenke, Unterpfänder und freche Erpressungen mit dabei sitzt. Schneid hat er auch, gar kein Zweifel – das hat man daran gesehen, wie er diese Mauer in Medina raufgeklettert ist. Wirklich, wenn alle so wären wie Ned Rise, dann könnte Mungo ruhig schlafen.
    Infolge von Widrigkeiten verschiedener Art – zusammenbrechende Esel, Drückeberger, die sich verirren und einen halben Tag lang in die falsche Richtung gehen – ist die Expedition weit hinter dem Terminplan zurück. Bei all den Aufenthalten und Rückschlägen haben sie fast einen Monat bis nach Dindiku gebraucht, dem Tor zur unwegsamen Öde der Jallonka-Wildnis. Als sie sich dem Dorf nähern– ein Muster aus Schatten und Licht auf einem dicht bewaldeten Hügel   –, wird der Entdeckungsreisende zunehmend nervös. Immer wieder erhebt er sich in den Steigbügeln, fixiert die fernen Hütten und Silos in höchster und ausschließlicher Konzentration, als hätte er Angst, sie würden verschwinden, sobald er wegsähe. Sein Herz pocht

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