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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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«Drei Stück sind’s», sagt Martyn hinter ihm, und seine Stimme ist kalt wie ein Skalpell.
    Ja. Blutrünstige Mauren. Wilde. Tiere. Er kann sieschon sehen – oder?   –, den in der Sonne blinkenden Kopfputz. Plötzlich ergreift ihn eine Gelassenheit, das Gefühl, das man Soldaten in der Hitze der Schlacht zuschreibt. Fest entschlossen und fatalistisch hebt er die Muskete an die Schulter und zielt über den sich verjüngenden Lauf hinweg. «Klar zum Feuern!» zischt er.
    Zwanzig Minuten steht er so da, ein Salon-Schauspieler in einem
Tableau vivant
. Die drei Kanus kommen in Formation näher und näher, in einem Winkel, der unweigerlich den Kurs der
Joliba
kreuzen muß. Er kann sie nun recht deutlich sehen, die schwarzen Kähne im Relief vor der großen Sonnenkugel, die sich wie ein müdes altes Ungeheuer hinter ihnen aus dem See erhebt. Als sie in Schußweite kommen, gibt er den Befehl zum Feuern.
    Die erste Salve wirft mit wuchtigem Klatschen das vordere Kanu um. Ferne Arme fuchteln durch die Luft, man hört wirre Rufe, Schmerzensschreie. Acht Musketen krachen, fliegen zu Boden und werden durch acht neue ersetzt. Wieder ein Krachen, ein Aufblitzen, und das zweite Kanu wird im Wasser zerschmettert. In dem Rauch und Gegenlicht erkennt der Entdeckungsreisende die Passagiere kaum, aber Mauren sind es bestimmt – in
jubbahs
und Pluderhosen   –, was macht es da, daß sie schwarze Gesichter haben und die Schreie aus Frauen- und Kinderkehlen kommen?
    Nach der zweiten Salve hüpfen die Insassen des letzten Boots ins Wasser und überlassen ihr Gefährt seinem Schicksal. Nun beginnt die Besatzung – auch Amadi Fatoumi und seine Schwarzen – mit planlosem Schießen, sie feuern blindlings auf jeden formlosen Kopf im Glitzern der Sonne auf dem Wasser, drücken beim geringsten Zeichen eines platschenden Schwimmers ab. Im Rausch zielt der Entdeckungsreisende auf eine dunkle Gestalt, die sich an ein gekentertes Kanu klammert, da packt ihn jemand am Arm, als er den Abzug drückt. Er wirbelt herum und siehtNed Rise. Flinten knallen und donnern, Qualm steht über der
Joliba
wie eine tiefhängende Gewitterwolke. «Lassen Sie das Feuer einstellen», ruft Ned. «Es ist ein Irrtum – sehen Sie das nicht?»
    Es ist, als ob Mungo aus einem Traum erwacht. Er läßt die Muskete sinken und mustert die Reihe seiner Leute, schockiert von der Verwandlung, die in ihren Gesichtern vorgegangen ist. Sogar der schwächliche Frair sieht aus wie ein rasendes Raubtier, sein Mund ist verzerrt, die Zähne gebleckt. Amadis Augen sind glasig, seine Zungenspitze ragt aus dem Mundwinkel, und seine Sklaven blicken verzückt drein wie Bauernlümmel an einer Schießbude. Und die Berufsmilitärs   – Martyn und M’Keal – sind in ihrem Element. Hierfür sind sie geboren und ausgebildet, dies ist der Moment, für den sie die Bajonette geschärft und die Musketen geölt haben. Ihre Gesichter sind rauchgeschwärzt, sie zielen, feuern und greifen nach der nächsten Waffe, in einer einzigen fließenden Bewegung, gnadenlos und unversöhnlich wie Maschinen. Bestürzt folgt Mungos Blick der Linie von Martyns Flinte, vorbei an den sinkenden Kanus dorthin, wo der Kopf einer Frau aus dem Wasser ragt. Eine Frau? – nein, das geht doch nicht. Aber es geht, und es ist eine. Eine Frau, ihre
jubbah
breitet sich über die Wogen, kupferne Ohrringe blinken in der Sonne, eine Frau, die unter Mühen gleichzeitig sich selbst und ihr Baby über Wasser hält. «Feuer einstellen!» brüllt Mungo. «Aufhören!»
    Doch das Kommando bleibt unbeachtet. Noch eine Viertelstunde lang hallen erregte Rufe und das wahnwitzige Knallen der Flintenschüsse über den Dibbie, bis die Kanus zersplittert, die Musketen leer sind und alles still wird, bis auf das Klatschen der Wellen, den Höllenatem des Windes und die leise platzenden, zerfließenden Blutklumpen, die nun aufsteigen und die trübe schäumende Oberfläche verdunkeln.
     
    Zwei Tage danach – die endlose Leere des Sees liegt hinter ihnen, und sie treiben wieder in der Fahrrinne des Flusses – wird die Besatzung der
Joliba
Zeuge einer großen Dummheit von Fred Frair. Von einer Vielzahl unspezifischer Leiden, eitriger Infektionen und mysteriöser Tropenkrankheiten befallen, siecht Frair seit Tagen dumpf und deprimiert dahin, sein ausgezehrter Leib preßt sich eng an die Planken, als wollte er jeden Augenblick in dem glatten schwarzen Holz verschwinden wie ein Insekt. Niemand sieht ihn gerne so, aber was können sie schon tun?

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