Wassermusik
bloß dieser verfluchte Lärm zu bedeuten?»
Amadi wirkt überrascht. Er zeigt auf den Himmel. «Wind», sagt er. «Sehr trocken.» Als Antwort auf die nächste Frage des Entdeckungsreisenden – eine rhetorische: Fließt der Niger hinter Timbuktu nach Süden, und ist Amadi sich da auch ganz sicher? – deutet er nur nochmals mit dem Finger, diesmal allerdings auf einen Punkt steuerbords voraus.
Es muß hier gesagt werden, daß die Attacke in Sansanding – da sie ausgerechnet von seinem Erzfeind angeführt war – den Entdeckungsreisenden ziemlich erschüttert hat. Seither ist er nervös, sein Magen macht ihm zu schaffen, ein mysteriöser Ausschlag ist auf seinem Unterleib und zwischen den Zehen aufgebrochen. Wie bei einem Hypochonder, der einen Tumor in der Achsel mit fatalistischem Vergnügen entdeckt, hat dies seinen schlimmsten Verdachtbestätigt sie sind wirklich da draußen, lauern hinter jedem Baum, verbergen sich in der erbärmlichsten Hütte, liegen im Hinterhalt, genau wie er es immer erwartet hat. Infolgedessen war er entschlossen, mehr als je zuvor und mit einer Ausschließlichkeit, die an eine fixe Idee grenzt, jeglichem menschlichen Kontakt aus dem Wege zu gehen. Trotz des Protests seiner Besatzung hat er die Städte Silla und Djenné gemieden, als wären sie von Dämonen und Basilisken bewohnt, ging beide Male kurz vor den Hütten am äußersten Ortsrand vor Anker und trieb erst im Schutz der Dunkelheit vorbei. Seine Leute witterten dort frischen Proviant – Milch, Brot, Obst und Gemüse –, er jedoch wollte davon nichts wissen. Nein, er wollte nicht einmal am allerkleinsten Eingeborenenkaff mitten im Busch ankern, wollte keine Pause einlegen, um Bier oder Fleisch zu kaufen, für fünf kostbare Minuten wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Pausen wollte er gar keine mehr machen.
Deshalb flößt ihm dieser Punkt am Horizont, dieser schwarze Fleck, dieses Nichts in der Ferne schlicht Entsetzen ein. Hier draußen, mitten auf diesem ozeanartigen See, kann das nur eins bedeuten: Menschen. Wilde, fanatische, mordgierige Mauren. Sein erster Schrei wird von schockiertem Ableugnen der Situation erstickt, das ihm in der Kehle steckenbleibt wie ein Schleimklumpen. Dann aber ruft er die Losung, wie ein Wachtposten, der in einer kalten schwarzen Nacht überrumpelt worden ist: «Zu den Waffen! Ein Angriff!»
Die Besatzung reagiert sofort. Amadi und seine Leute springen von ihren Kauri-Stapeln auf, und Fred Frair, der eben noch dahindämmerte, kommt auf die Beine, als hätte ihm jemand heiße Suppe in den Schoß gekippt. Martyn ist augenblicklich zur Stelle, und auch M’Keal, in Stiefeln und Unterhose, flucht schon herum. «Mauren!» schreit Mungo und hebt im selben Moment das Teleskop ans Auge, alsFred Frair, noch elektrisiert vom ersten Ruf zu den Waffen, jaulend wie ein Hund an ihm vorbeirennt. Wissenschaftlich betrachtet, ist das Ergebnis eine einfache Abfolge von Aktion und Reaktion, Kraft und Gegenkraft: er stößt an den Ellenbogen des Entdeckungsreisenden, und das Fernrohr fliegt in hohem Bogen davon, um sofort in der braunen Brühe zu ihren Füßen zu versinken.
Macht nichts. Es braucht keine Vergrößerung, um zu sehen, daß jener Klecks am Horizont eine Gruppe feindlicher Mauren ist. Mit von Panik erstarrten Gesichtern machen sich die Männer daran, ihren Anführer beim Wort zu nehmen. Martyn und M’Keal teilen schon die Musketen aus – fünfundzwanzig, dreißig, fünfunddreißig – und Frair flitzt hin und her mit Pulverfässern, Ladestöcken und Propfen für den Fall, daß man nachladen muß. Nur Ned Rise an der Ruderpinne wirkt gelassen. Mit Sextant und Kompaß und dem provisorischen Segel, das er über Nacht gesetzt hat, steuert er die
Joliba
durch die nachlassende Strömung, die ihn nach Timbuktu, Haussa und noch weiter, nach London, führt.
Der Entdeckungsreisende hat am Bug Posten bezogen, reglos verharrend wie ein Vorstehhund. Er trieft vor Schweiß, kneift die Augen zusammen, bis seine Gesichtsmuskulatur ins Zucken kommt, und starrt auf den Horizont, als könne er ihn mit der schieren Kraft der visuellen Konzentration in Brand setzen. Ein ewig langer Moment verstreicht, und noch einer. Und dann, in blitzartiger, düsterer Offenbarung, wird ihm bewußt, daß dort draußen am Rand der Wasserwelt eine schreckliche Zellteilung stattfindet:
nicht ein Punkt, sondern drei!
Drei schlanke, flinke Eingeborenenkanus, bis an die Wasserlinie vollgestopft mit blutgierigen Mauren!
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