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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Aber warum hat sie keine Lampe angemacht? Und wohin ist das Mädchen verschwunden, verdammt? Naja, egal. Treiben wir mit dem Strom.
«Salaam aleikhem»
, sagt er in den Schatten hinein.
    «Aleikhem as salaam»
, kommt die Antwort, weich wie der Schlag eines Mottenflügels.
    Er fährt zusammen. Sie sitzt direkt neben ihm – er hätte über sie stolpern können   … verflucht, ist das dunkel hier! Am besten sich nicht viel bewegen, sonst fällt noch irgendwas um. «Krraaak», macht einer der Falken. Vielleicht sollte er sie bitten, eine Kerze anzuzünden – aber um Himmels willen, wie sagte man gleich für «Kerze»? So begnügt er sich mit
«Kaif halkum» –
Wie geht’s?
    «Bishára»
, erwidert sie, was er als ‹kann nicht klagen› interpretiert.
    Schweigen.
    Er scharrt mit den Füßen, bohrt sich im Ohr, läßt die Fingergelenke knacken und überlegt, ob er sich einfach hinsetzen soll. Nach zehn bis zwanzig Sekunden Ohrenbohren versucht er sich ein wenig in Konversation, er hofft auszudrücken, wie nett er es findet, sie wiederzusehen – obwohl er sie kaum erkennen kann. Was er tatsächlich herausbringt, ist leider: «Mein Blick ist voll tollwütiger Freude.»
    Fatima kichert.
    Mit neuem Mut redet er weiter, wobei er seine Worte an die unförmige Gestalt im Schatten richtet. Aus dem Kampf mit Kasusendungen, Syntaxregeln, Zeitformen und einem etwas dürftigen Vokabular geht der Entdeckungsreisende beredt wie Antonius, Demosthenes und der Sprecher des Unterhauses zugleich hervor und läßt sie wissen, wie sehr er ihre Aufmerksamkeiten geschätzt hat, ganz zu schweigen von den Kalbsfüßen in Aspik und dem Mungbohnenpüree. In diesem Moment allerdings kommt die alte Dienerin mit einer Kerze herein, wobei der Entdeckungsreisende bemerkt, daß er die ganze Zeit mit einem Webstuhl gesprochen hat. Die Königin dagegen sitzt am anderen Ende des Zelts und erhebt sich nun aus ihrem gigantischen Sitzkissen wie ein alpiner Gipfel von seinem Vorgebirge. Der Entdeckungsreisende ist verwirrt. «Komm her zu mir», sagt sie.
    Beim Klang von Fatimas Stimme zuckt die Alte zusammen, kehrt dann aber rasch an ihre Arbeit zurück. Sie setzt eine neue Kerze in die geöffnete Handfläche einer Elfenbeinstatuette, rafft ihre Röcke und huscht mit lüsternem Blick an dem Entdeckungsreisenden vorbei. Mungo macht einen Schritt vorwärts, doch dann zögert er. Irgend etwas stimmt hier nicht – aber was? Auf einmal wird es ihm klar: Fatimas Kopf ist unbedeckt, die schweren Zöpfe sprießen von ihrem Kopf wie Ableger einer Pflanze. Bis jetzt hat er von ihr nicht ein einziges Haar gesehen – die Augenbrauenvielleicht ausgenommen. «Komm her», sagt sie noch einmal.
    Der Entdeckungsreisende geht zu ihr, macht eine Verbeugung und überlegt sich krampfhaft eine kluge Bemerkung. Sie klopft auf das Kissen. «Hierher!» winkt sie ihm. Mungo zuckt die Achseln. Dann erklimmt er das Kissen und versinkt in seiner Massigkeit. Die Alte ist nicht mehr zu sehen. Auch von den Pluderhosenmädchen keine Spur. Ihm fällt auf, daß er noch nie zuvor mit der Königin allein gewesen ist. Doch jetzt beginnt das Kissen zu beben, es schwankt über die ganze Länge wie das Meer im Wind. Er blickt auf. Die Königin zieht sich die
jubbah
über den Kopf, grunzt dabei leise, während sie sich mit den herumfliegenden Stoffbahnen abmüht. Unter der
jubbah
: nacktes Fleisch. Der Entdeckungsreisende begreift langsam.
    «Hilf mir», stöhnt sie, weil ihr Umhang an Kopf und Oberkörper verhakt ist. Mungo beugt sich vor und packt das obere Ende des gewaltigen Kleidungsstücks, er denkt an Bettlaken und Fahnentücher und Zirkuszelte. Er zerrt und keucht. Seine Arme bewegen sich unter dem Stoff wie Katzen im Sack, sie holt Luft, und dann purzeln plötzlich ihre Brüste hervor, sie wackeln mächtig von der Erschütterung, kolossale Kugeln, himmlische Hemisphären. Sie bleiben über den vielfachen Falten ihres Bauches liegen wie die Zwillingsmonde des Mars. Der Entdeckungsreisende wird plötzlich von Eile und Drang gepackt. Mit aller Fleischfresser-Energie, die er aufbringen kann, reißt er an dem widerspenstigen Tuch, atmet geräuschvoll und heftig dabei, bis endlich die ganze
jubbah
nachgibt wie ein Stück Papier. Er taumelt nach hinten, und da ist sie – die Königin   –, nackt und unausweichlich wie die große weite unergründliche See.
«Yudhkul»
, wispert sie.
«Yudhkul alaiha.»
    Er wirft die Stiefel von sich, fummelt an Knöpfen, reißt sich die
jubbah
vom Leib.

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