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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Feucht und massig erwartet sie ihn mit glänzenden Augen und dem heruntergezogenenSchleier, ihre Haut schwelt wie der Vesuv. Er keucht vor Hast und Erwartung. Es ist ein Traum, ein Fieberanfall; kein gewöhnlicher Sterblicher könnte diesem gewaltigen Gefühl nahekommen! Er erklimmt sie, sucht mit den Füßen nach Halt – so viel Terrain zum Erforschen: Gebirge, Täler und Spalten, neue Kontinente, uralte Flüsse.

GLEG ÜBERALL
    Sie ist eine belagerte Festung, genau das ist sie. Brustwehr bemannt, siedendheißes Pech bereitgestellt, fest verrammelt die Tore. Seit jenem Tag, da er sie in der Badewanne erwischt hat, bleibt ihr kein Moment Ruhe mehr. Seitdem ist Gleg zur Linken, Gleg zur Rechten, Gleg am Fenster, Gleg an der Tür, Gleg in der Kammer, wenn sie nach ihrem Umhang greift, Gleg im Garten, wenn sie spazierengeht. Er ist unausweichlich, unerbittlich. Morgens bringt er ihr Blumen – große Bündel Knabenkraut und Bleiwurz – und wartet auf der Treppe, während sie sich ankleidet. Beim Frühstück findet sie Liebesgedichte zwischen den Haferkuchen oder in den Falten ihrer Serviette:
     
    Wie wahre Lieb wohl dar sich stellt?
    Sei mein Gefühl auch noch von solcher Größe,
    Daß deine Gegenwart allein mir Freud’ einflöße,
    So haß ich doch abgründlich diese Welt;
    Ich sollt sie lieben, denn nur hier entfaltet
    Sich deine Schönheit und ist so wohl gestaltet,
    Daß rein nichts mehr mich hält!
     
    Sie kann kein Ei mehr aufschlagen, ohne daß sie etwas über die «Morgenröt’» ihrer Wangen oder die «schäumenden Wogen» ihrer Brüste zu hören bekommt. Liebeskranke Blicke begleiten jeden Schluck aus der Teetasse, und das Schaben des Buttermessers auf ihrem Toast, so klagt er, istwie eine kratzende Feile an den Kanten seines Herzens. Wenn die Stühle quietschend zurückgeschoben werden und Zander und ihr Vater aus dem Zimmer schlurfen, beugt sich Gleg zu ihr und flüstert: «Hätten wir Zeit nur und wären reich/​käm deine Sprödheit keinem Verbrechen gleich.» Und dann fügt er augenzwinkernd hinzu. «Aber wir haben keine. Und es ist eins.»
    Gleg, Gleg, sie ist eingegleggt bis über die Kiemen. Er ist allgegenwärtig, nicht abzuschütteln, wie ein Floh im Gewand, wie eine Fliege im Honig. Abends hockt er unter ihrem Fenster und sabbert abwechselnd in eine Flöte oder heult die Baumwipfel an wie ein liebestoller Kater. Zwischen seinen «Melodeien» deklamiert er Gedichte und wirft Steinchen gegen die Scheibe. Eines Morgens kommt sie aus dem Zimmer und ertappt ihn schmachtend vor ihrem Nachttopf, den sie in den Flur gestellt hat. Ein anderes Mal erwischt sie ihn, wie er sich die Taschen mit Fettresten und Knorpeln vollstopft, in der Hoffnung, sich bei Douce Davie, ihrem Border-Terrier, einzuschmeicheln. Bei ihr biß er auf Granit. Mit dem Hund hatte er leichtes Spiel.
    Heute aber kann sie die Zugbrücke runterlassen und die Festung auslüften – bis zum Abendessen ist sie ihn los. Gleich nach dem Frühstück sind er und Zander mit ihrem Vater abgezogen, um in der Gegend herumzufahren und Eiterbeulen aufzustechen, Adern zu lassen und Blutegel an Kröpfe und Schwellungen und gelbliche Quetschwunden anzusetzen. Sie hat ihnen nachgesehen, wie sie davonritten, Zander in rhythmischer, graziöser Haltung, Gleg so linkisch wie eine Gottesanbeterin, die auf einem Käfer hockt. Am Ende des Weges drehte er sich um und winkte ihr mit dem Taschentuch. Dieser Blödmann. Eigentlich wollte sie ihm den Vogel zeigen, aber er wirkte so schonungslos absurd, daß sie plötzlich grinsen mußte. Was ihn nur um so mehr ermutigte. Das Taschentuch flatterte wie ein Außenklüver im Seitenwind. Er war der strahlendeStar, sie die scheue Schönheit. Kein Zweifel, es würde wieder Lyrik zum Abendbrot geben – «Mein Herz ist eine off’ne rote Schwäre,/​Voll Eiter, bis deiner Liebe süßes Messer/​Ihm endlich Stillung und Trost gewähre»   –, aber diesen Preis war es wert, ihn einen ganzen Nachmittag lang loszusein.
    Als erstes macht sie die Fenster weit auf. Draußen ist das gelbe Gras wieder grün geworden, Vogelfedern blinken in den Bäumen, und der schwere, urtümliche Duft der aufgeweichten Ackerscholle hängt in der Luft. «Tschieptschiep», beschimpfen einander die Singdrosseln, Buchfinken und Rotkehlchen von Dächern und Hecken. Eine frische Brise bläht die Vorhänge, und die Sonne malt Rautenmuster auf den Fußboden. Hinter ihr schwänzeln die Fische im Aquarium. Ein rastloses Gefühl erfaßt sie. Sie

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