Wassermusik
füttert ihre Tauben und Plötzen, gießt die Blumen. Fängt ein Buch an, führt den Hund aus, zieht den Skizzenblock hervor. Macht sich ein Sandwich mit Zunge, bäckt ein paar Kekse zum Tee. Setzt sich ans Spinett und jagt durch eine Vivace-Version von «Edom O’Gordon». Starrt auf die Uhr. Schließlich geht sie an den Schreibtisch, schließt eine Schublade auf, zieht einen Brief heraus und schiebt ihn sich unters Kleid. Schleicht dann aus dem Zimmer wie ein Dieb. In die Vorhalle, die Vordertreppe hinab, über den schlammigen Gartenweg und in den Wald dahinter.
Farne säumen den Pfad wie Wachtposten, die Schatten sammeln sich unter den Büschen zu Klumpen. Die Luft ist eine Infusion. Vom Teich her klingen die Falsett-Triller der Laubfrösche, die im Wasser qua-qua-quaken. Oft hat sie sie beobachtet, die Glubschaugen und Glibberglieder, wie sie ihre schleimige Spur hinter sich herziehen und übereinander krabbeln, das Geschäume, Gebrodel, Gerammel. Ihre Füße trotten vorbei an kopulierenden Regenwürmern, sprießenden Keimen, der Saum ihres Kleides zaust Storchschnabel, Steinbrech, Leinkraut und Wiesenraute,sammelt Blütenstaub ein und verstreut ihn in der Gegend. Der Brief ist von Mungo. Sein letzter. Sie hat ihn schon dutzendemale gelesen, und sie wird ihn nochmals lesen, auf einer Böschung über dem Yarrow, während ihr zu Füßen die Schnecken und Schnaken schnackseln, die zwitschernden Lerchen es in der Luft über ihr treiben und überhaupt die ganze Welt voll bei der Sache ist, im mählichen, beharrlichen Trott von pochendem Blut und durstendem Gewebe.
Pisania am Gambia
14
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Juli 1795
MEIN LEBEN!
Ein leichtes Fieber, ein paar Würmer, ein wenig ausgezehrt, etwas Haarausfall – nichts weiter Schlimmes. Ich bin gesund und munter, was die äußere Erscheinung anlangt. Doch ach, wie sehr schmerzt mein Herz! Blutegel, Schmeißfliegen, Hundefraß – all das ertrage ich gern für die allerflüchtigste Erinnerung an Dich. Du, die Du hier an diesem Ort der Hitze und Fäulnis meine Träume versüßest, die Du mir den Mut zum Vorandringen schenkst, die Du mir der Grund bist, dort zu überleben, wo es niemand anderem bisher gelang. Ailie: Ich werde rasch den Niger aufspüren und bis zum Frühling wieder dasein. Wirst Du auf mich warten?
Wenn ich ganz unten bin, wenn es scheint, als wollte der Regen niemals mehr aufhören, als müßte ich auf ewig in diesem Loch vermodern, dann denk ich an Dich. Und mein Herz ist gerührt, und ich denke an da Gama, wie er das Kap umschiffte, an Balboa, wie er auf die Südsee blickte, und dann weiß ich, daß dies das Leben ist!
Ich bleibe Dein getreuer und Dich liebender Erklimmer von Gipfeln, Durchquerer von Flüssen und Ergründer des Ungewissen,
Mungo
P.S.: Habe Johnson getroffen und angeheuert, einen braven und beherzten Burschen, intelligent und beredt, eine Ehre für die negroide Rasse. Seiner Überzeugung nach werden wir auf kein echtes Hindernis stoßen, solange wir das maurische Königreich Ludamar meiden.
Die Sonne lastet schwer. Sie schließt die Augen. Mungo ist siebzehn, sein Haar wie verstreute Gerste, die Muskeln in seine Schultern gehämmert, der Famulus ihres Vaters. Beim Essen grinst sie ihn über den Tisch an. Er hebt den Kopf vom Suppenteller und grinst zurück. Sie haben ein Geheimnis. Sie ist vierzehn. Ihre Brust ist flach wie bei einem Kind. Auf den Feldern hebt sie für ihn die Bluse.
Als sie aufwacht, ist es fast dunkel. Ein Kaninchen kauert auf einem Grasflecken, die Ohren eng angelegt, und beobachtet sie. Sie setzt sich auf, faltet den Brief mit der Ehrfurcht einer Klosterschwester zusammen, die das Turiner Grabtuch zusammenlegt, und steckt ihn wieder ein. Zu Hause wartet man schon aufs Abendessen. Bei Fleischpastete, Geflügel und Erbsensuppe mit Klopsen blinzelt ihr Gleg in einem fort zu, während ihr Vater über die anerkannte Methode, brandige Gliedmaßen zu amputieren, doziert. Später nimmt der Alte sie beiseite. «Bist jetzt eine erwachsene Frau von zweiundzwanzig», sagt er, «und solltest dir bald einen Mann suchen. Gleg ist nicht der Schlechteste, will mir scheinen, auch wenn er ein bißchen viel Scheiß im Hirn hat.»
«Du weißt doch, daß ich auf Mungo warte», antwortet sie.
Der Alte starrt lange Zeit auf den Boden, und die Furchen seines Gesichts ordnen sich allmählich zu dem frommen, ernsten, erbarmungslosen Ausdruck, den er immer aufsetzt, wenn er seinen Patienten schlechte Neuigkeiten bringt. Es ist
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