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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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leider Krebs. Gehirnfieber. Gallensteine. Seine Augenbrauen kräuseln sich, bis er beinahe aussiehtwie Gottes Onkel. «So ungern ich das sag», raunt er, «aber ich fürchte, du kannst nicht mehr allzu sehr darauf rechnen, daß der Jung wiederkommt.»
     
    In dieser Nacht findet sie ein Medaillon auf ihrem Kopfkissen. Golden, herzförmig, umrandet von Amorfiguren in Relief. Sie klappt es auf. Innen ist ein Porträt. Sie erkennt sich selbst, nackt bis zur Hüfte. Neben ihr, den Arm in einer Geste beschützerhaften Schamgefühls vor ihre Brust gestreckt, steht Gleg. Wer sonst?

ELEMENTARSTES
    Mitten in der Nacht kommen sie ihn holen, wie Dämonen oder Erscheinungen. Sie sind zu dritt. Dolche, Säbel, Krummschwerter, Musketen. «Aufstehn, Sklave!» Die Stimme klingt kehlig, unbarmherzig. Eben noch hat er von Schottland geträumt, von smaragdenen Hängen und eiszeitlichen Bergseen, von silbrigen Lachsen, die die Stromschnellen hinauftänzeln, wo der Gala sich donnernd in den Tweed ergießt. Und nun, da er aus dem Schlaf gerissen wird wie ein Kind aus dem Mutterleib, packt ihn eine jähe, tiefe Urangst und pocht gegen seine Rippen. Fatima, denkt er. Das Spielchen ist aus. Augenblicklich bekommt er Schweißausbrüche, Magengrimmen, Blähungen, Schuldgefühle und Fracksausen. Werden sie ihn auf dem Scheiterhaufen schmoren? Ihm das Zeichen des Ehebrechers auf die Brust brennen? Nein, natürlich nicht. Hier herrscht ja noch das finstere Zeitalter. Recht und Rache sind synonym, so was geht hier schnell und plötzlich vor sich. Keine Zeit für Kleinigkeiten wie Erziehung durch Gruppendruck, kein Platz im System für Rehabilitation. Dem Lügner schneiden sie die Zunge raus, dem Dieb hacken sie die Hand ab   … und dem Ehebrecher?
    Hände packen ihn unter den Achseln. Er wird roh hochgerissen und aus dem Zelt hinausgestoßen, wobei ihn derSchwung über die ausgestreckten Gestalten der sieben sedierten Wächter vor dem Eingang befördert.
«Wallah!»
rufen sie aus.
«Shaitan!»
– «Hundesohn!» Die Nachtluft ist trocken wie Haferkuchen, außerdem erstaunlich kalt. Er beginnt zu zittern. Hinter ihm macht seine Eskorte leise Witze, die Füße zischen im Sand, die Waffen klirren und klappern wie eine ganze Rüstkammer in voller Bewegung. Sollte er davonrennen? Oder sich zusammenreißen und dem Donnerwetter stellen? Mit acht Jahren hatte er zusammen mit seinem Bruder den Hühnerstall angezündet. Adam hatte alles abgestritten. Mungo hatte sich dem Donnerwetter gestellt – und eine Tracht Prügel dafür bekommen, bei der Eisen geschmolzen und Steine erweicht worden wären. Noch heute bebt in seinen Oberschenkeln und Hinterbacken die Erinnerung an diese Schläge, sie sind tief in die Nervenfasern und knotigen Muskelstränge eingepflanzt, eine Erinnerung jenseits aller Worte, jenseits jeder Vernunft. Auf einmal schießt es ihm durch den Kopf: Er will lieber davonrennen.
    Leider gehören die Männer auf seinen Fersen aber zu Alis Elite-Kavallerie, bekannt für Mut, Entschlossenheit und rasche Reflexe. Bevor er auch nur aus der Reihe tanzen kann, wird ihm eine Muskete zwischen die Beine geschoben, und er liegt mit dem Gesicht im Sand. Wieder packen die Hände seine Achselhöhlen, hieven ihn hoch wie einen Betrunkenen oder einen Einjährigen, der gerade laufen lernt, und lotsen ihn durch das totenstille, schweigende Lager – vorbei an angeleinten Pferden, schlafenden Hunden und gespenstischen Formen aus Zeltleinwand – bis direkt vor das Feuer, das vor Alis’ Zelt schmurgelt.
    Ali ist von Ratgebern und Höflingen umringt. Dassoud ist auch da. Einauge. Und der Nubier. Ali hockt neben dem Feuer, den Dolch in der Hand, und toastet sich ein paar Fleischstücke. Das grelle, tanzende Licht spielt auf seiner Hakennase, verschmälert seine Backenknochen und verengtseine tödlichen Augen. Wie er so vor dem Feuer kauert, unwirsch und wachsam, und gierig seine Beute verschlingt, erinnert er an einen kolossalen Raubvogel, an irgendein schreckliches, ledriges Wesen, das aus der Zeit der Saurier übriggeblieben ist. Der Entdeckungsreisende rechnet mit dem Schlimmsten.
    Ali pustet auf einen heißen Fleischbrocken, nimmt einen Schluck Hûna-Tee. Dann fletscht er die Zähne und steckt sich den Happen in den Mund. Er fuchtelt mit der Messerspitze in die Richtung des Entdeckungsreisenden. «Sattel   –», beginnt er, bricht aber ab, um auf einem Knorpel herumzukauen. «Sattel dein   … Pferd.» Würgend und grunzend schluckt er den Bissen, dann

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