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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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an.»
    Sie zerrten am Netz. Als der Ertrunkene sich dem Bug des Bootes näherte, schlug sein Kopf mit einem Krachen von Holz auf Holz gegen die Planken. «Ik», sagte er.
    «Was war’n das jetz eben, Liam?»
    «Hab nix gesacht, Shem.»
    Der Ertrunkene schaukelte zu ihren Füßen, während sie ihn aus dem Netzwerk entwirrten. Sein gefrorener Mund stand weit offen, die Zunge war an die Zähne geschweißt. «Ik», sagte er.
    «Meine Güte, der Kerl tut ja noch leben! Komm, hilf mal, daß ich ihn ins Boot wuchte, Shem.» Liams Atem hing in Klumpen in der Luft. Er war ein Monument aus Muskeln und Sehnen, hartgesotten vom jahrelangen Netzeeinholen und den Prügeleien auf den Docks. Er beugte den Rücken zu dem Ertrunkenen hinab und hievte ihn in das Skiff hinein, samt Eisscholle und allem. Der Ertrunkene war von der Hüfte abwärts nackt und in ein patschnasses Cape eingewickelt.
    «Leg’m paar Decken um, Shem. Und gib den Usquebaugh rüber.»
    «Den Usquebaugh? Da kann er aber genausogut abnippeln wie aufwachen von.»
    Der Whiskey war selbstgebrannt und stark wie Feuer. Liam goß ihn dem Mann in den Schlund, während Shem ihm die Finger und das Kinn vom Eis löste. Die Wirkung trat fast augenblicklich ein – der Tote hob den Kopf, erbrach sich und fiel in Ohnmacht. «Ik-ik», sagte er noch.

TSCHITSCHIKOFFS AUSLESE
    Fischgestank. Seit drei Monaten stinkt’s nach Fisch, Tag und Nacht. Der üble, ölige Geruch nach Aalen aus dem grünlichen Wasser an der Pier, die salzigen Ausdünstungen toter Rochen und Makrelen, der kalte, schlammige Muff von Welsen, Barschen und Karpfen. Er hat sie alle geschnuppert – Schleie und Brasse und Makrelenhecht, den Ling mit seinen Bartfäden, den gichtigen Kugelfisch, Alse, Seehecht und Schellfisch. Hat ihnen die Eingeweide rausgerissen, die Köpfe abgeschlagen, mit ihren blitzenden, durchscheinenden Schuppen die Luft zum Leuchten gebracht. Es ist ein ekliger, stinkender, undankbarer Job.
    Aber ein sicherer. Und Sicherheit ist alles. Das und Unsichtbarsein. In jener verhängnisvollen Nacht hat Ned sich eine Menge Feinde gemacht – Smirke, der Geldstrafe zahlen und dazu noch drei Stunden am Pranger stehen mußte; Mendoza, Brummell und die anderen, deren Namen am nächsten Tag in der Zeitung standen; Nan und Sal, die man ins Bridewell-Arbeitshaus steckte, bis der Gnaden-Fonds für Gestrauchelte Frauen ihre Freilassung erwirkte; und Lord Twit, der öffentlich getadelt wurde, weil er der Entsittlichung seines Negerdieners zugestimmt hatte. Eine Menge Feinde – aber keiner von ihnen ahnte, daß er von den Toten auferstanden war. Und Ned Rise hatte nicht vor, sie eines Besseren zu belehren.
    Da steht er also im Fischladen der Gebrüder Leggotty in Southwark, atmet den öligen Gestank in einem Morast aus dümmlich glotzenden Augen ein und schnipselt an kaltem, blutleerem Fleisch herum. Sie haben ihn aus dem Fluß gezogen, Shem und McClure, zu drei Vierteln tot, und ihn eine Woche lang gepäppelt, bis er wieder auf dem Damm war. Er besaß keinen Penny mehr, da er Beinkleid, Stiefel und Hosenbeutelbank in dem verzweifelten Versuch, über Wasser zu bleiben, als Ballast abgeworfen hatte. Sie boten ihm Arbeit und einen Schlafplatz. Zweimal am Tag Fischsuppe und Schwarzbrot. Liam lieh ihm ein Paar Hosen. «Abgemacht», sagte Ned.
    Es ist keine Undankbarkeit – er ist nur einfach nicht zum Fischer geboren. Das Netz rutscht ihm aus den Händen, die Ruderdollen haben ihren eigenen Kopf, er fürchtet sich vor dem Wasser, vor Booten, Riemen und Docks, der Fischgeruch dreht ihm den Magen um. Er kann kaum richtig schwimmen. Zu alledem hat er allmählich genug von ihrem stumpfsinnigen Gerede und ihrem noch stumpfsinnigeren Leben («Tscha», sagt Liam und saugt an seiner Pfeife wie ein Weiser, «der Sturm nimmt’s oder bringt’s»), und er sehnt sich nach den Spieltischen, den Cafés, der «Sauf & Syph-Taverne» und der «Wühlmaus». Southwark ist nichts weiter als ein fauliger Slum, der Arsch der Welt. Wie soll Ned Rise in der Welt aufsteigen, wenn er in einem Fischladen in Southwark festsitzt? Er hackt auf Fischköpfe und Flossen ein. Die Mutlosigkeit ergreift ihn.
    Dann, eines Nachmittags, als er einem kurzschnäuzigen Stör die Knochenschilde und die Haut abzieht, kommt ihm eine Idee. Eine durchaus bescheidene Idee, die aber Unsichtbarkeit mit Profit kombiniert. Er sucht jemanden, dem er sie erzählen kann. Shem und Liam hocken draußen auf der Gasse, teilen sich einen Krug Schnaps und spucken in

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