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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Seufzer fällt neben ihm eine Mauer ein, und ein Strohdach steigt in die Höhe wie ein aufgescheuchter Geierschwarm von der Beute. Das ist mal ein Lüftchen!
    «Mann!» ruft er aus und dreht sich zu Johnson um. Aber genau wie Dassoud und jeder andere in Sichtweite stürmt Johnson in die Gegenrichtung davon. Mungo ist leicht verwirrt. «Wozu die Eile?» schreit er ihm nach. «Ist doch bloß eine steife Brise.» Der Wind heult. Der Himmel verdunkelt sich. Eine Hütte kommt vorbeigesaust. Und dann hört er es – ein scharfes Zischen, ein spuckendes, stetiges Auslassen von Luft, als wären ganz Edinburgh und Glasgow samt Grenzländern angetreten, um einen melodramatischen Schurken auszupfeifen. Auf einmal packt ihn die Angst. Er macht sich davon – aber zu spät! RUMMS! Das Pferd hat’s umgehauen. Und dann wird er selbst zu Boden geworfen, er geht in die Knie, und plötzlich sticht es ihn in jede Pore seines Körpers, als wäre er aus Versehen in einen Bienenschwarm geraten. Sand! Es ist ein Sandsturm!
    Er rappelt sich auf, die Jacke flattert ihm um den Kopf wie die Schwingen des Teufels und all seiner höllischen Legionen.Sand klebt ihm in den Augen, in den Ohren, oben in der Nase, tief drin in der Kehle. Unvermutet kracht ihm eine fliegende Ziege zwischen die Schulterblätter, und wieder geht er zu Boden. Er kämpft sich hoch, schwankt etwas, eine leere Kalebasse prallt von seinem Kopf ab wie ein Asteroid, und dann knallt ihm – ZACK! – ein Perlhuhn mitten ins Gesicht, und er läßt sich von neuem auszählen. Und wieder auf, und wieder nieder. Langsam wird es ernst. «Hilfe!» brüllt er. Ssssssssssss! zischt der Sand. Er kann nicht mehr atmen, seine Lungen sind voll mit dem Zeug; er ist halb blind, krabbelt über herumgeschleuderte Trümmer, Mini-Dünen, Kessel und Löffel, zerfetzte Decken, Leichen von Ziegen und Milchkühen. Wohin gehen? Ist dies das Ende? Doch dann spürt er einen Zug im Nacken, da ist eine Hand, ein Arm. Er packt die Hand und folgt ihr über den Boden, kriecht wie ein Nagetier, in den Ohren das Heulen, Objekte donnern ihm an den Kopf, und der Wind schnürt ihm die Lunge zu wie eine glühendheiße Feuerzange   …
     
    «Hey, Mr.   Park», brummt Johnsons Stimme, «sinse so blöd, dasse sich nichmal unterstelln, wenn Sandsturm is?»
    Der Entdeckungsreisende ringt noch nach Atem und antwortet nicht. Seine Augen sind total verkrustet, irgendwer hat Sandburgen in seinen Ohren gebaut. Er hat keine Ahnung, wo er ist.
    «Da draußen hätt’s Ihnen die Haut vom Leib gefetzt, wissense das? Ich mein, so’n Sandsturm is nix zum Witzedrübermachen.»
    Der Entdeckungsreisende ist groggy. Er weiß nicht, wo er ist oder wie er hergekommen ist, sehen kann er überhaupt nichts. Ist es schon Nacht? Da ist das Heulen des Windes, das Zischen des Sandes. «Johnson», sagt er, «bist du das?»
    Statt ihm zu antworten, verfällt Johnson ins Mandingo,und der Entdeckungsreisende zuckt zusammen, als rings umher in der Finsternis plötzlich Gelächter aufkommt. «Was ist denn hier los? Johnson?»
    «Obo wibo dschalla ’imsta, kutatamballa»
, sagt Johnson, und das Lachen geht von neuem los. Und dann: «Ruhig Blut, Mr.   Park – wir sind in guten Händen.»
    «Aber wo sind wir? Und wie sind wir hierhergekommen?»
    «Rübenkeller. Ich zu Fuß, Sie hamse reingeschleift.»
    So ist das also. Anscheinend war er längere Zeit bewußtlos. Aber wessen Stimmen sind das, und warum diese undurchdringliche, gottverdammte Dunkelheit? Irgendwo dicht neben sich hört er Geflüster, dem ein Kichern folgt. Und rasend macht ihn das Plätschern und Schwappen von Flüssigkeit in einem Krug. «Johnson», ruft er, «wie wäre es denn mit etwas mehr Licht hier?»
    «Ich denke, das läßt sich machen», gibt Johnson zurück, dessen Stimme nun abrupt die Richtung wechselt und mit sonoren, heiteren Lauten durch ein Gewirr von Ms und Ks und langen, weichen, gedehnten Us der Mandingosprache watet. Andere Stimmen – eigentlich Grunztöne – antworten aus dem Nichts. Kurz darauf bemerkt der Entdeckungsreisende ein leises, kaum hörbares Geräusch vom anderen Ende des Raums: ein Murmeln, ein Rascheln, das sanfte Ächzen von Zweigen, die im Wind aneinanderscheuern. Anfangs rätselt er, dann aber wird es ihm klar: Holzstäbe, die jemand reibt. Ein Feuerbohrer! Sekunden später sprühen Funken, dann lodert eine hungrige Flamme aus einer Handvoll Spänen und erhellt den Raum.
    Was er dort sieht: fünf Männer, knorrige schwarze Typen, lehnen

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