Wassermusik
Er hat
sulu
-Bier getrunken und ist jetzt nicht ganz sicher, wo er sich befindet. EinKeller, eindeutig. Er erkennt die gelben Erdmauern, die Wurzeln und Rhizome, die Decke aus Rohrgeflecht, die Leiter. Ja. Absolut kein Zweifel. Ein Keller. Ermattet stützt er sich auf die Ellenbogen und entdeckt eine leere Kalebasse zwischen seinen Beinen und einen wolligen Kopf quer über seinem Fuß. Der Kopf gehört zu Johnson, der mit den übrigen Zechkumpanen in einem Tohuwabohu aus Armen und Beinen flach auf dem Boden liegt, sein gewaltiger Bauch hebt und senkt sich wie ein elementares Naturschauspiel. Alle fünf schnarchen ruhig vor sich hin, lassen die Zähne pfeifen, die Lippen vibrieren, die Gaumensegel in der Brise flattern.
Es muß wohl Tag sein, denn die Finsternis, die ihm zuvor zu schaffen gemacht hat, ist einem zähflüssigen, schummrigen Licht gewichen, wie man es in Krypten, Weinkellern und an anderen feuchten, ungesunden Orten erwartet. Er kratzt sich den Nacken, wo ihn über Nacht irgend etwas gebissen hat, und betrachtet einen schwarzglänzenden Skarabäus, der mühsam eine Kotkugel von der Größe eines Apfels über den Boden schiebt. So sitzt er eine Weile da, beobachtet den Käfer und wartet geduldig darauf, daß sein Kopf klarer wird, als der erste Ruf von oben ertönt. Eigentlich ist es eher ein Keuchen, ein überraschtes Einatmen, dem fast augenblicklich ein langgezogenes Heulen folgt, wehklagend und verzweifelt. Dann ein heftiger Meinungsstreit – Einsilber fliegen hin und her wie Tennisbälle – und der Klang hastiger Schritte auf dem Bambusboden über ihm, dann ist es still. Der Entdeckungsreisende legt den Kopf schief und nimmt allmählich ein ganzes Spektrum von Hintergrundgeräuschen wahr, die von weiter draußen, von der Straße her kommen. Ein Summen, das zum Donner anschwillt – es scheint, als erbebte die ganze Erde davon. Er staunt. Ein Erdbeben? Eine Massenflucht? Noch ein Sandsturm?
Neugierig wie immer steht der Entdeckungsreisendeauf und geht zur Leiter hinüber, wodurch Johnsons Kopf hinter ihm mit dumpfem Ton zu Boden kracht. Gerade als er die erste Sprosse erklimmt, öffnet sich jedoch eine Klappe in der Decke, und er sieht sich einem knochigen Gesäß und einem Paar abwärts steigender nackter Fußsohlen konfrontiert. Der Entdeckungsreisende weicht zurück, als ein verschrumpelter kleiner Mann bedächtig und blind für jedes Hindernis die Leiter hinabkommt, in der Luft hängt wie eine arthritische Spinne. Unten angelangt, setzt der kleine Mann die Füße auf die Erde, wendet sich um und schreckt beim Anblick des Entdeckungsreisenden gewaltig zusammen.
Alt ist er, dieser kleine Mann – uralt, vorsintflutlich. Sein Haar ist weiß und wellig, sein Gesicht zerfurcht wie ein Flußdelta. Er ist kaum größer als eins fünfzig, wiegt höchstens dreiundvierzig Kilo, sieht aus wie aus einem Stück Schatten geschnitzt. Ein erdrosseltes Huhn, in Totenstarre verkrampft, baumelt an einer Schnur um seinen Hals. Es entsteht ein peinlicher Augenblick, als der Entdeckungsreisende und der Gnom sich Zehe an Zehe gegenüberstehen, der Kleine richtet die großen, bedächtig rollenden Augen auf den Entdeckungsreisenden, dann blickt er wieder weg, wobei sich ein Ausdruck irgendwo zwischen Verwunderung und Empörung im Spinnennetz seines Gesichts fängt. Noch einmal blickt er auf, wendet sich dann endgültig ab, als sollte die Erscheinung nun aber verschwinden. Er beugt sich zu einem der schlafenden Männer hinunter und piepst ihm etwas ins Ohr.
«M’bolo rita Sego!»
jammert er.
«M’bolo bolo Sego!»
Die Wirkung folgt auf dem Fuß: Johnson und seine Kumpane fahren gleichzeitig hoch, zerren sich an den Brusthaaren und bekommen Stielaugen, während der Alte in die Hände klatscht und eine schrille Endzeitgeschichte vorträgt (ohne Linguist zu sein, kriegt Mungo doch mehrfach wiederholte Wendungen wie «Kannibale», «Kinderausweiden» und «Tiggitty Sego» mit). Im nächsten Moment ringen die fünf Biertrinker entsetzt die Hände, stoßen einander nieder und kämpfen um die Leiter.
In panischer Flucht rennt Johnson am Entdeckungsreisenden vorbei, der die Gelegenheit nutzt, ihn am Arm zu packen. «Was ist denn los, Johnson? Geht es um Sego?»
«Schnell weg hier!» schreit Johnson, indem er wie ein tollwütiges Tier davonstürmt und über den alten Mann hinwegklettert. «Er will ganz Dscharra abfackeln!» Johnson zögert oben auf der Leiter. «Keine Gefangenen», flüstert er noch.
Draußen
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