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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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den Dreck.
    «Weißte, was die da unten in Afrika ham, Liam?»
    «Kopraschlangen?»
    «Nee. Da gib’s Flußbarsche, sechshunnert Funt schwer.»
    «Nich doch.»
    «Stimmt aber. Ned hat’s aus die
Evenin’ Post
vorgelesen.»
    «Sechshunnert Funt?»
    «Im Niggerfluß. Da unten is so’n junger Schotte verschwunden, der hat einen mitbringen wolln.»
    «Und weiter?»
    Ned wischt sich das Fischblut und den Schleim von den Händen und tritt aus der Tür. «Ich hab ’ne Idee», sagt er.
    Liam winkt ihm mit dem Krug zu. «Na denn, Junge, tu dir erstmal was von Mutters Bestem hinter die Binde gießen und erzähl uns alten Graubärten alles von deine Idee.»
    Ned nimmt einen Schluck, klopft sich aufs Brustbein und fragt, ob sie schon jemals etwas von Kaviar gehört hätten.
    «Is Lateinisch, wie?» sagt Liam.
    «Ich spreche von Fischrogen – den Eiern vom Stör. Da schmeißen wir das Zeug hier haufenweise weg, wo die ganzen feinen Pinkel drüben im West End den Russen drei Pfund pro Glas dafür zahlen.»
    «Drei Funt pro Glas? Für Gedärme und Abfall?»
    «Das is nich Abfall, Liam – die Schweden essen’s auch.»
    «Pah, diese unintellegenten Plattköppe. Die fressen doch auch eingelegte Heringe, oder etwa nich?»
    «Überlaßt alles mir», sagt Ned. «Ich kümmere mich selbst um das Abseihen und Salzen, dann unterbiete ich die Zarin um die Hälfte und verhökere den Stoff von Tür zu Tür, von Tottenham Court bis Mayfair. Paßt auf: in einem Monat sind wir reich.»
     
    Einen Monat später spaziert Ned Rise über die Westminster Bridge, mit falscher Nase und Brille, weißer Perücke,seidenen Beinkleidern und Brokatweste, ein reicher Mann. Relativ gesehen jedenfalls. «Tschitschikoffs Auslese» . (benannt nach einem alten Walfängerkumpel von Shems Bruder Japheth) verkauft sich wie Limonade beim Langstreckenlauf. Herrenclubs, Cafés, Tavernen, Kneipen und selbst Privathäuser kaufen Neds Kaviar so schnell auf, wie er ihn abfüllen kann. «Feinster russischer Kaviar», deklamiert er, wobei seine Stimme die Zischlaute und das letzte rollende
r
auskostet, «–   und zum halben Preis.» Alle lassen sich beschwatzen. Ob Stubenmädchen, Kantinenkoch oder ein weißbehaubter Küchenchef bei «Brooke’s» oder «White’s». Er sagt sein Sprüchlein auf, sie kaufen’s ihm ab. Innerhalb von zwei Wochen schmiert sich die halbe
haute volée
«Tschitschikoffs Auslese» auf die Salzcracker.
    Das Schönste dabei ist, sinniert Ned, während er mit einem Korb voller Rogen unterm Arm dahinschlendert, daß ihn das Zeug praktisch überhaupt nichts kostet. Als ob man Luft auf Flaschen zieht und dann für ein Pfund zehn pro Stück verkauft. Sicher, ein paar Auslagen hat er schon – aus reiner Dankbarkeit gibt er Liam und Shem zwei Shillings pro Fisch, dann zahlt er einen Penny für jedes Dutzend Terrakotta-Töpfchen und Etiketten, und Sixpence pro Tag an zwei Straßenlümmel, die den Stoff für ihn abseihen und salzen. Aber das ist gar nichts. Ein guter Fisch enthält neun bis fünfzehn Kilo Rogen – für Spesen von ein paar Shillings hier und da sahnt er also an die dreißig, vierzig Pfund Sterling ab. Natürlich wird es nicht ewig so weitergehen – das weiß er. Einmal laichen Störe nur zwei Monate im Jahr   – April und Mai   –, also wird sein Rogenvorrat bald zur Neige gehen. Außerdem dürften auch Shem und Liam irgendwann was spitzkriegen und einen größeren Anteil fordern   … Einstweilen aber ist Ned Rise im Aufwind: Die Hosenbeutelbank ist wieder liquide, und unter dem Bett seiner neuen Behausung in der Bear Lane wird eine alte Eisentruhe langsam zu Silber.
    An diesem Morgen – einem Morgen voll Sonnenschein und Vogelgezwitscher und Blumenpracht – will Ned sein Glück in der Gegend von Soho und Berkeley Square versuchen. Sowie er das düstere Gebälk der Brücke überquert, beginnt er, energisch zu pfeifen und seinen Gehstock durch die Luft zu wirbeln. Der Wind vom Fluß zaust ihm die Perücke. Eine Möwe gleitet über ihn hinweg. «Aah! Ist doch herrlich, das Leben!» denkt er und schreitet aus wie ein junger Lord auf dem Weg zu einem Spielchen Crocket am Nachmittag. Doch als er das Ende der Brücke erreicht, durchläuft er eine abrupte Verwandlung. Es ist, als hätte der Gott der Spastiker ihn mit seinem Krüppelstab berührt: Die Glieder verrenken sich, die Zunge hängt ihm schief aus dem Mund, der Kopf fällt zur Seite. Plötzlich sinken die Schultern herab, er wird ganz krumm, zieht ein Bein nach, als wäre

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