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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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es ein Stück Fallholz – jetzt kommt noch ein Tic im linken Auge dazu, und auf dem Rücken wölbt sich ein Buckel. Ist es ein Anfall? Hat er Konvulsionen? Nervöse Zuckungen? Ned grinst zufrieden, als Passanten beunruhigt einen großen Bogen um ihn machen. «Gah», sagt er zu ihnen, kaut dabei auf seiner Zunge und streckt seine verstümmelte Hand wie einen Ausweis hin. «Gah», sagt er und humpelt die Straße hinauf wie ein Hund mit gebrochenem Rückgrat. All das ist natürlich Teil eines Plans, der seine Entlarvung verhindern soll – er betrachtet diese Prozedur gern als das «Aufsetzen der Tarnkappe». Die falsche Nase, die Brille, die altmodischen Kleider, die Krämpfe und Zuckungen, der zittrige Gang der Schüttellähmung – so ist er nichts als ein hasenschartiger Krüppel, der Fischeier auf der Straße verhökert. Selbst der liebe Gott hätte ihn beim Jüngsten Gericht in diesem Aufzug nicht erkannt.
    Er schleppt sich die Great George Street entlang, durch den St.   James’s Park und über die Mall, hinkt und torkelt wie ein Syphilitiker im Endstadium, als er plötzlich eineStimme hinter sich hört: «Ned! Ned Rise! Warte doch mal ’ne Sekunde!»
    Es ist Boyles, der Esel, ganz rot im Gesicht vom Schnaps und vom Rennen.
    «Ned!» keucht er beim Näherkommen. «Wir ham alle gedacht, du bist tot. Im Fluß ersoffen. Echt, wie du eben um die Ecke gekommen bist, hab ich kaum meine Augen traun wolln.»
    Ned verkriecht sich in seine Jacke und zieht den Dreispitz tief in die Stirn. Kopf und Gliedmaßen flattern wie Wäsche im Wind. Eine ganze Salve von Zuckungen geht über sein Gesicht.
    Boyles packt ihn am Ärmel. «Aber zu was soll’n das antequitätische Kostüm gut sein? Und all das Gehinke und Rumgezucke? Haste dir’n Fieber eingefangen, oder spielste bloß ’n bißchen Kohmöddje?»
    Die Welt bricht zusammen und fliegt ihm um die Ohren, ein Stück Himmel ist herabgefallen und hat ihn am Hinterkopf getroffen. Er kann nicht mehr klar denken. Seine Hände zittern. Twit, Smirke, Mendoza – sie werden ihn wie Bluthunde jagen.
    «Ach sooo – jetz kapier ich. Hast dir verkleidet, wie? Hab ich recht? Häh, Ned? Hab ich recht? Machst einen auf Tarnung, stimmt’s?»
    Ned blickt rasch um sich, ergreift Boyles’ Arm und zieht ihn in eine Seitengasse. Ein toter Hund liegt im Schmutz neben einem kaputten Sonnenschirm. Draußen auf der Mall klappern elegante Leute in Kutschen vorüber. «Woran hast du gemerkt, daß ich es bin, Billy?»
    «Soll das’n Witz sein? Dir würd ich meilenweit erkennen, Ned Rise. Das bißchen Hinkefuß und die Pappnase nützt gar nix. Ich hab doch glasklar gesehen, wer du bist.»
    Soviel also zur Tarnkappe. «Hör zu, Billy. Du darfst auf keinen Fall sagen, daß du mich getroffen hast. Wenn Mendoza und Smirke und die andren das rausfinden   …»
    «Die würden dir lebendich abhäuten, Neddy. Mendoza hat’n ganzen nächsten Tag nach dir gesucht, und Smirke hat dir ’ne Woche lang an die Fefferküste verwünscht, nach seine öffentliche Demütigung. Hah! Da hätteste dabei sein sollen, Ned – wie Smirke am Pranger war. Ich hab’s ihm tüchtich besorgt, mit’m halben Dutzend faule Runkelrüben und ’ner toten Katze. Juchhu, das hat vielleicht Laune gemacht.»
    Aber Ned hört gar nicht zu. Er wendet sich geschäftig ab und fummelt tief in seinen Kniehosen herum, sucht nach Crown und Shilling, fischt nach Schweigegeld.
    «Eins muß man ihm allerdings lassen», Boyles fängt an zu husten und rotzt einen Klumpen blutige Spucke in ein zerfetztes Taschentuch, «er war schwer bedripst wegen sei’m Gefluche über dich, wie er rausgekriegt hat, daß du ersoffen bist. Hat allen ’ne Runde ausgegeben für dich, Ned – dreimal! Und Nan und Sal – die hätteste erst sehn sollen. Die beiden sind los und ham paar schwarze Häubchen mit Schleier und so mitgehn lassen, wo se ganz trauervoll ausgesehn ham, und dann hamse noch sträußeweise Geranien in’n Fluß geschmissen, zum Angedenken an dir   … nee, nee, unbetrauert biste nich ins Grab gegangen, kannste sicher sein, Neddy.»
    Ned dreht sich wieder um und hält eine Münze in der Hand. «Für dich, Billy», sagt er. «Für deine Diskretion. Du hast mich niemals gesehen, klar? Ich bin tot und vergessen, klar?»
    «Kannst dir auf mir verlassen, Ned. Ich werd kein Sterbenswörtchen nich ausplaudern.»

FLUCHT!
    Mungo erwacht mit Kopfschmerzen. Er hat
sulu
-Bier getrunken – auch bekannt als
bobutu daas –
Verdreher von Gliedern und Sinnen.

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