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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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trappeln ins Nichts davon – wiehernd undquiekend, zischend, brüllend. Die Anspannung macht sich langsam bemerkbar. Es kommt der Punkt, eines späten Nachmittags, wo der Entdeckungsreisende nicht mehr die Kraft zum Weitergehen aufbringt. Nachdem er sich eine halbe Stunde abgemüht hat, sein Pferd durch eine Klamm zu zerren, in der er bis zum Hals in brodelndem gelbem Wasser stand, läßt er sich völlig erschöpft an den Wegesrand fallen. Der alte Mann sinkt neben ihm nieder, Johnson hustet klumpigen Speichel aus und tut es ihnen nach. Pferd und Esel kollabieren wie Papiertüten.
    «Noch – weit?» keucht Mungo, in dessen Stimme der Katarrh blubbert.
    Johnson spuckt von neuem aus, dann schneuzt er sich in seine klatschnasse Toga. «Fragen Sie mich nicht – ich bin auch noch nie dort gewesen.»
    Die beiden wenden sich an Ebo. Gezeichnet, gebückt und nackt kauert der wie ein mittelalterlicher Wasserspeier unter einem Busch. Das Perlhuhn hat durch Fäulnis einen Flügel verloren, hängt ihm aber immer noch vom Hals, die Federn schwer von Nässe und Maden.
«Woko baba daas»
, krächzt er.
    «Zehn Meilen», nuschelt Johnson. «Morgen früh sind wir da.»
     
    Der Morgen kommt wie eine Ohrfeige, hart und grell. Johnson ist schon auf, sammelt Beeren und Pilze, als der Entdeckungsreisende blitzartig hochfährt und über sich den wolkenlosen Himmel sieht, auf dem zwei Falken gemächlich ihre Kreise ziehen. Anfangs ist er verwirrt und desorientiert, dann fällt es ihm ein: Heute ist der große Tag! Sofort ist er auf den Beinen, sucht seine Sachen zusammen, gibt dem Pferd einen Klaps auf die Flanke, ruft nach Johnson, rüttelt Ebo an den spindeldürren Schultern. «Wach auf, Ebo   – Zeit zum Aufbrechen!»
    Der alte Mann liegt eingerollt unter dem Busch undschläft weiter. Totenstill. Sein Mund steht offen, das rosa Fleisch von Zahnleiste und Gaumen ein einladendes Horsd’œuvre für die riesigen grünen Fliegen, die das verwesende Huhn umschwirren. Eine Ameisenkolonne hat seinen Fuß zum Trampelpfad erklärt, Moskitos tätowieren ihm Wangen und Augenlider. Wie der Entdeckungsreisende ihn näher betrachtet, so zerbrechlich und so reglos, die Knochen ein starres Relief auf dem gelben Modder, steigt in ihm eine schreckliche Gewißheit auf. Der alte Ebo, der letzte der Dscharraner, ist tot.
    Mungo weicht zurück, immer noch in der Hocke, und ruft von neuem nach Johnson – diesmal in schrillerem Ton. Weiter vorn bricht Johnson aus dem Gebüsch, mit vollem Mund kauend; an seiner Hüfte baumelt ein Beutel, der mit Kräutern, Nüssen, Beeren und Pilzen gefüllt ist. In den Armen trägt er ein halbes Dutzend knorrige Knollenfrüchte. «Es ist was mit dem alten Mann», ruft Mungo. «Ich glaube, es hat ihn erwischt.»
    Die Knollen fallen mit obszönem Klatschen zu Boden, und Johnson setzt sich in Trab, so daß Brust und Bauch unter der Toga zu schwabbeln beginnen. Neben dem Alten kniet er nieder, preßt das Ohr gegen die faltige Brust. Als er sich wieder erhebt, ist seine Miene düster. «Fürchte, Sie haben recht, Mr.   Park», sagt er. «Wollen Sie’n begraben oder für die Putzkolonnen der Natur liegenlassen?»
    Der Entdeckungsreisende ist schockiert. «Aber – natürlich begraben wir ihn.»
    Johnson, der noch immer kniet, sieht ihn verkniffen an. «Wird mächtig heiß werden heute. Und feucht. Zehn Meilen die Straße da rauf liegt dieser Fluß, über den Sie die ganze Zeit jammern und sich bepissen, um endlich hinzukommen. Und dazu eine richtige Stadt voller Wunder und Herrlichkeiten, mit schönen Frauen und alkoholischen Getränken. Sind Sie ganz sicher?»
    Die Antwort bleibt dem Entdeckungsreisenden erspart,denn Johnson, der dem alten Mann eben den toten Vogel vom Hals schneiden will, wird plötzlich vom festen Griff einer knochigen Hand gestoppt. Langsam wie Sirup öffnen sich die Lider des Alten. Er räkelt sich, gähnt, setzt sich auf. Dann tadelt er Johnson mit erhobenem Zeigefinger. «Ebo dachte, wir wären Freunde. Trotzdem probierst du, ihm sein
mojo
-Huhn zu klauen?»
    Johnson schreckt mit offenem Mund zurück. «Aber wir dachten doch   –»
    Der Alte kommt auf die Beine, ein wenig schwankend, in dem blasigen Speichel auf seiner Lippe zappelt eine Fliege. Er taumelt auf den Dolmetscher zu, sein Körper zittert vor Wut oder Gebrechlichkeit, die Krallenfinger rupfen an dem Lederriemen, bis er ihn endlich zu fassen bekommt und sich den toten Vogel behutsam über den Kopf hebt. Er baumelt von seinen Fingern,

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