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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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werde gesehen haben was keiner von ihnen gesehen hat – der Gutsherr von Dumfries nicht, Charles Fox nicht, ja nicht mal der König selbst.»
    «Alles schön und gut», brüllt Johnson über die Protestbekundungen eines nahen Löwen hinweg. «Aber erst mal müssen Sie ja hinkommen, und dann noch den ganzen langen Weg wieder zurück – samt allen Notizen und ohne Schaden an Ihrem Denkvermögen, ganz zu schweigen vom Geh- und Sehvermögen.»
    Doch Moment mal: Was ist das für ein Lärm da im Gebüsch? So vertieft waren sie in die Debatte, daß sie alles ringsum vergessen hatten – jetzt aber, da sie darauf achten, wird ihnen klar, daß seit einiger Zeit tatsächlich dauernd Zweige wackeln und Blätter rascheln. Diese Erkenntnis packt sie wie ein Krampfanfall: Die Worte bleiben ihnen im Hals stecken, ihre Glieder werden schwer, die Ohren stellen sich auf. Ein Ast knackt, das Laub rauscht, und abrupt sind Entdeckungsreisender und Dolmetscher auf den Beinen, der eine umklammert einen dornigen Knüttel, der andere schwenkt eine Duellpistole mit Silbergravuren. Einen Moment lang herrscht Stille, dann fängt das Rumoren wieder an – und zwar kommt es unzweifelhaft direkt auf sie zu. Leopard, Löwe oder Wolf, denken sie. Oder schlimmer noch: Dassoud! «Komm raus da!» ruft Mungo. «Ob Mensch oder Hyäne!»
    Ein Blitz zuckt am Himmel, Donner rollt über die Hügel. Johnson schluckt heftig und versucht, die Pistole ruhig zu halten. Mit dramatischem Wedeln teilen sich die Büsche – und hervor tritt gebückt der verhutzelte Wahrsager aus Dscharra. Das tote Perlhuhn hängt immer noch um seinen Hals, halb gerupft, schlaff und stinkend.
«Wamba ribo jekenek»
, grüßt er, und seine Tränensäcke und Falten versuchen eine Art Lächeln.
«Bobo kiimbo.»
    Im nächsten Augenblick hockt der Alte zwischen Entdeckungsreisendem und Dolmetscher, knochige Knie und aufgesprungene Fußsohlen, beschnüffelt den Spieß und plappert wie ein Affe, der gerade vom Baum gehüpft ist. «Was für eine Nacht! Die Löwen sind auf der Jagd nach dem Mond. Hört ihr den da? Ziemlich nahe, wie? Hihi. Mmh, riecht aber gut hier. Ich weiß, wie man Fleisch brät, könnt ihr drauf wetten. Früher mal jedenfalls. Jetzt bin ich einsam und ohne Freunde, gräßliches Mißgeschick. Wußtet ihr das? Geht ihr zufällig in meine Richtung?»
    «Was denn für’n Mißgeschick?» fragt Johnson. DerAlte hat nur auf das Stichwort gewartet und startet eine langatmige Schilderung, ausgeschmückt mit geriatrischen Gebärden und untermalt vom Knirschen der rostigen Gelenke. Er heißt offenbar Aba Ebo – oder Eba Abo – der Entdeckungsreisende kommt da zu keinem endgültigen Schluß. Bei einem Scharmützel mit Mansongs Armee war er von den übrigen Flüchtlingen getrennt worden. Als Mansong erfuhr, daß die fliehenden Dscharraner die Grenze von Bambarra überquert hatten und bei ihm Asyl verlangten, hatte er anscheinend gemeint, die Zeit sei reif, dafür einen kleinen Tribut zu fordern – eine Art Kurtaxe. Hinter einer Straßenbiegung war er plötzlich aufgetaucht, eine enorme Erscheinung auf dem Rücken eines Elefantenbabys, umringt von etwa hundert spitzbäuchigen Kriegern in Leopardenfellen und Straußenfedern. Ihm voran ging ein
jilli kea
, ein Sänger, der seinen Forderungen gellend Gehör verschaffte. Die lange Schlange der Flüchtlinge kam zum Stillstand. Yambo, der Häuptling von Dscharra, bahnte sich den Weg nach vorn und protestierte, sein Volk sei zu Mansong während des Krieges mit Tiggitty Sego immer loyal gewesen und der Verlust ihres Dorfes und all ihrer Habseligkeiten sei ja wohl des Unglücks genug. In diesem Sinne liefere er sein Volk der Gnade des weisen und wohltätigen Herrschers von Bambarra aus.
    Mansongs Zepter war von einem Menschenschädel gekrönt. Er schob seinen stolzen fetten Bauch zurecht und wiederholte seine Forderung. An diesem Punkt hatte sich der Wahrsager eingemischt. (Hier wird der Alte überaus lebhaft, rudert mit den dünnen Ärmchen herum und trommelt sich auf die Brust.) Wütend zwängte er sich durch die Menge und humpelte an Yambos Seite. Dann hob er die Fäuste und ließ salvenweise Schmähungen gegen den König von Bambarra los. Sego mochte ein Tyrann sein, hatte der Alte gekrächzt, aber Mansong sei dagegen ein Menschenfresser, der von Schwulen und Schakalen gezeugt sein dürfte. Mansongsuhle sich im Kot und lutsche seinen Kriegern den Samen raus. Ein Dieb und eine Frau sei er – zum Beweis sehe man nur seine großen

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