Wassermusik
Entdeckungsreisender, Dolmetscher und Wahrsager – dicht gefolgt von Pferd und Esel – im Nieseln und Pieseln periodischer Regenschauer die Straße nach Segou entlang, der Hauptstadt von Bambarra. Ihr eigentliches Ziel ist Segou Korro, die westlichste der vier Siedlungen, aus denen Segou sich zusammensetzt (die anderen sind Segou Bu, Su Korro und Segou Si Korro). Laut dem alten Ebo, der in seiner Jugend zweimal dort war, ist es eine weltoffene Stadt: Palmwein, Fleisch und
sulu
-Bier in Hülle und Fülle, überall erklingt lüsternes Lachen, Fetzen von Liedern, das Kreischen von Hahnenkämpfen, in den Gassen drängen sich Huren, die Halsreifen aus Messing tragen und deren Haut sich anfühlt wie ein Brunnengrund. Es gibt Jongleure und Zwerge undAkrobaten, Männer, die Hühnern den Kopf abbeißen, unbeschreibliche Wunder. In Segou fließt das Wasser bergauf. Die Menschen dort sprechen rückwärts. Unzucht herrscht in den Straßen, in den Gassen, in den Höhlen des Lasters. Juwelen liegen wie Kiesel herum. Man pflastert die Straßen mit Marmor, die Händler speisen von vergoldeten Tellern, essen kann man, was das Herz begehrt: Geflügel und pochierter Fisch, Eier, Hammel, Reis. Und dann der Bazar – der Bazar ist unwahrscheinlich, grenzenlos, ein Katalog menschlicher Begierden, menschlicher Träume, unmenschlicher Wünsche. «Da gibt’s alles, was man will», krächzt der Alte und leckt sich die Lippen. «Dolche, Sklavenmädchen, sprechende Affen, Haschisch.» Der Entdeckungsreisende bekommt feuchte Handflächen. Ja, nach all den sterbensöden Monaten in der Wüste ist die Aussicht auf eine Stadt – eine Negerstadt – etwas Aufregendes. Aber das ist nur der eine Grund. Städte hat er schon viele gesehen. Was sein Blut pulsieren und seine Organe zucken läßt: Diese Stadt liegt – im Gegensatz zu jeder anderen der abendländischen Geschichtsschreibung bekannten – direkt am Westufer des legendären Flusses, am Niger.
Der Niger! Bei dem Gedanken ist er wie betäubt. Cäsar, Alexander der Große, Houghton, Ledyard – keiner von ihnen kam auch nur in seine Nähe. Seinetwegen hat er gelitten, auf alles verzichtet, sich die Verdauung ruiniert, die Frau verlassen, die er liebte. Der Niger. Er spukt in seinen Träumen, säuert ihm den morgendlichen Tee, ätzt seinen Lauf in seine Phantasie ein. Und jetzt, endlich, ist er zum Greifen nahe.
Beinahe jedenfalls. Einstweilen allerdings sieht es ziemlich trübe aus. Sie sind alle drei am Verhungern, erschöpft bis auf die Knochen, verfroren schlurfen sie dahin wie ein Altersheim auf Wanderschaft. Der Seher mit seinen aufgeplatzten Füßen, den arthritischen Knien; derEntdeckungsreisende mit Pusteln und Blasen und verfaulenden Stiefeln; Johnson mit fetten braunen Egeln zwischen den Zehen und unter der Toga. Pferd und Esel humpeln auch nur noch, mittlerweile fast völlig nutzlos. Hinter ihnen hebt und senkt sich die Landschaft, rauh und unwegsam, vernarbt wie eine von Akne zerstörte Wange. Vor ihnen: noch mal das gleiche. Da kommen abrupte Abhänge, Hügel und Täler, Grate und Rinnen. Ciboa-Haine sind dunkle Flecken in den Tälern, und mächtige Tabbas, mit Stämmen so dick wie Big Ben, wachen still auf den Gipfeln. Unter ihren Füßen welkes Guineagras und Ginstergestrüpp voller Kletten und Dornen. Überall lauern Schlangen, Skorpione, Spinnen so groß wie Omeletts. Verwilderte Hunde heulen hinter Kaktusbatterien, und Schmutzgeier mit kahlen Köpfen und schwarzen Schwingen hocken auf den Bäumen wie Grabräuber bei einer Beerdigung. Die Straße, wenn sie denn diesen Namen verdient, ist nicht mehr als ein Weidepfad.
Es regnet jetzt stärker, in bohrenden Tropfen. Als der Regen anfing, gerieten sie in Ekstase. Sie machten Freudensprünge und schlugen Rad. Sie wälzten sich darin, hielten ihm offene Münder und Hemden entgegen, klatschten und jubelten und tanzten wie begnadigte Verbrecher. Sie schliefen im Schlamm, erwachten lachend, den Regen im Gesicht, sein süßer Geruch hing in den Bäumen. Wenn sie auf der glitschigen Straße ausrutschten, lachten sie. Auf einmal war das Universum freundlich gesinnt. Sie liebten es.
Aber das war vor fünf Tagen. Was zuviel ist, ist zuviel. Manche Pfützen sind knietief. Der Morast zerrt an den Füßen. Atemwege sind blockiert, die Nasen triefen, die Ohren sind verstopft. Jeder Morgen ist von Dunst und Nebel verhangen, alles verschwommen wie im Traum, die Luft feucht und stinkend. Große graue Phantome schrecken vor ihnen auf und
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