Wassermusik
Hängetitten an. Für kurze Zeit waren beide Parteien stumm vor Verblüffung. Dann aber fiel Mansongs Armee mit einem Schrei über die wehrlosen Dscharraner her. Zweihundert wurden getötet, zumeist Frauen und Kinder. Den Rest führte man in Ketten ab.
«Und wie hast du entkommen können?» fragt der Entdeckungsreisende mit seinem stockenden Akzent.
Der Alte sieht auf, seine Züge sind von einem Grinsen verwischt. Lautloses Gelächter schüttelt die Knochen seines Brustkorbs.
«Mojo»
sagt er.
Der Entdeckungsreisende blickt fragend zu Johnson.
«Er meint, er hat sein
mojo
abgezogen», erklärt Johnson und versetzt dem Fleischspieß eine Drehung. «Sie wissen schon: Magie, schwarze Künste, Voodoo und Zauberei. Mit einem Medizinmann legt sich keiner gerne an.»
«Medizinmann?»
«Natürlich – was denken Sie denn, weswegen der immer mit dem Huhn da unterm Kinn rumläuft?»
Der Entdeckungsreisende springt auf. «Kann er – kann er die Zukunft weissagen?»
Johnsons Lider hängen schwer wie die eines Krokodils herab. Seufzend sieht er den Entdeckungsreisenden an. «Naja, ein Zigeuner ist er nicht, wenn Sie das meinen … Aber überlegen Sie mal, möchten Sie denn wirklich, daß einer mit Ihren Omen und Vorzeichen Hexerei macht, Mr. Park? Hier und jetzt? Ich meine, wenn einem ’ne weiße Oma mal was aus dem Kaffeesatz plaudert, in irgend ’nem Wohnzimmer in London oder Edinburgh oder sonstwo, na gut – aber hey, das hier ist
Afrika
, Mann. Das Auge des Sturms, Gefilde der Geheimnisse, Herz der Finsternis. Und dieser alte nackte schwarze Mann hier mit den verschorften Füßen, dem sein Penis im Dreck baumelt – der albert nicht bloß rum!»
«Erzähl keinen Unsinn, Johnson. Ich hab das Glück der Schotten auf meiner Seite. Mir steht eine ruhmreiche Zukunft bevor, das weiß ich. Ein Lorbeerkranz, und ein Buch. Und Ailie. Machst du Witze: Ich werde vorm Kamin sterben, mit einer Katze auf dem Schoß.»
«Na gut. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.»
Über ihnen malen die Blitzstrahlen Mosaikmuster auf den Himmel, bis er glüht wie die Leuchtkarte eines astralen Stroms und seiner Nebenflüsse. In der Ferne hört man das abgehackte, verstimmte Grummeln des Donners. Johnson wendet sich an den alten Mann und murmelt etwas auf mandingo. Die Reaktion von Ebo (oder Abo) kommt augenblicklich. Das Grinsen verfliegt, Krähenfüße breiten sich von den Augenhöhlen und Mundwinkeln her aus, Furchen graben sich ein, und tiefe Falten lassen Wange und Kinn hervortreten, bis er verwandelt ist, nicht wiederzuerkennen, ein großer trauriger Bluthund, eine Wachskugel, ein ungeformter Tontopf. Zitternd erhebt er sich und packt des Entdeckungsreisenden Hand, mustert sie prüfend, wie eine Schrift oder ein Gemälde. Die ledrigen alten Finger huschen über Knöchel und Gelenke, ein wilder Blitz leuchtet am Himmel, der Donner poltert herab wie ein Riese, der über die Erde schreitet. Der Wahrsager spuckt in Mungos Handfläche und murmelt irgendeine vorsintflutliche Zauberformel immer wieder vor sich hin,
mojomojomojo
, die Augen fest zugekniffen, der Donner dabei wie Stammestrommeln. Endlich blickt er in die mächtige weiße Hand, und seine Augen weiten sich. Ein Zucken wie ein Schlag. Er stößt den Schrei eines waidwunden Tiers aus und faßt sich an die Brust.
Eine Hyäne lacht in der Nacht. Der Wind schmeckt nach Sand. Mungo hat Angst. «Und?» fragt er, seine Stimme ist ein gepreßtes Vibrato. «Was siehst du darin?»
Aber der Alte antwortet nicht. Schon rückt er von dem Entdeckungsreisenden ab, hält sich die Hände vors Gesicht,seine gebückte schwarze Gestalt ein Schatten unter Schatten. ZACK! Ein Blitz taucht die Lichtung in gleißendes Weiß, und der Alte ist ein Gespenst. ZACK! Johnson ist bleich wie Milch.
«Obi-lo-bojóto»
, intoniert der Seher.
«Obi-lo-bojóto.»
«Johnson! Was sagt er da?»
Johnson starrt ins Feuer.
«Johnson!»
Der Dolmetscher dreht langsam den Kopf, bedächtig wie eine Pflanze, die der Sonne folgt. Alles Getier der Ebene heult im Unisono, und der Himmel ist hell erleuchtet wie ein Ballsaal. «Er sagt, Sie hätten hübsche Hände.»
«Hübsche Hände!? Was zum –»
Frage oder Ausruf, es bleibt für immer unvollendet. Denn in diesem Moment öffnen sich die Schleusen des Himmels, die ersten fetten Tropfen stürzen herab wie Steinbrocken, knallen auf die versengte Erde und die welken Bäume.
Die Regenzeit hat begonnen.
HEUREKA!
Vier Tage später stapfen
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