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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Ruf als Bilderstürmer, intellektueller Outlaw und provokanter Kritiker der Spießigkeit. Lord Twit von Witz wird er genannt. Nach einer Pause, in der er sich zwei Prisen Schnupftabak genehmigt, fährt er fort: «Was ist bei der Schlacht von Culloden passiert – wissen Sie das, Sir? Also was ist dann mit Tanger und Timbuktu? Meine eigenen Kenntnisse über den afrikanischen Kontinent sind zumindest schon aus zweiter Hand.»
    Darauf hat Llandaff nur gewartet. «Ja, Twit», sagt er grinsend und schüttet sich ganz ganz langsam weißes Salz aus dem Streuer auf die Hand, «wir alle hier hatten ja Gelegenheit, von Ihren mannhaften Exkursionen in die schwärzesten Höhlen Afrikas zu lesen – wie macht sich übrigens Ihr Negersklave seither?»
    Pultney prustet los.
    «Hört, hört!» ruft Edwards. «Er bläst den Klassikern den Marsch.»
    «Gentlemen, bitte.» Eine massige, rosige Gestalt hat sich am anderen Ende des Tisches erhoben. Baronet Sir Reginald Durfeys steht an der Schwelle des achten Lebensjahrzehnts, hat den Beginn des langsamen Rutsches ins Grab aber noch vor sich, der so viele seiner Altersgenossen griesgrämig und häßlich gemacht hat. Mit achtundsechzig ist er noch rotbäckig und fett wie ein Baby, treuherzig wieein kleiner Junge. Er spendet Almosen, trinkt gerne mal ein Glas Portwein, macht allabendlich seinen Verdauungsspaziergang auf dem Boulevard. Er hat nie geheiratet. «Zwar kann ich unserem geschätzten Kollegen nicht beipflichten, daß der Niger nur in der Einbildung existiere», fängt er an, und sein buschiger Silberschopf verdeckt dabei Desceliers’ Landkarte fast zur Gänze, «doch kann ich auch nicht guten Mutes die Beteuerung unseres Bischofs akzeptieren, die von den Griechen zusammengetragenen Informationen seien die verläßlichsten. Nein. Ich glaube, wir sollten unseren modernen Kartographen den meisten Glauben schenken – Major Rennell und D’Anville.» Er beugt sich vor, stützt die Fäuste auf den Tisch. «Gentlemen: es ist meine Überzeugung, daß der Niger nach
Osten
fließt, ins Herz des Kontinents hinein   –»
    «Ach Quatsch, Durfeys – nach Westen fließt er und mündet an der Pfefferküste.»
    «–   nach
Osten
, sage ich nochmals, und ergießt sich in jenen großen See namens Tschad, wo sein Wasser in der sengenden Hitze der Zentralsahara der Verdunstung anheimfällt.»
    «Kommen Sie zur Besinnung, mein Bester», wirft Edwards ein. «Wenn er nach Osten fließt, müßte man Llandaff und Herodot wohl doch in Schutz nehmen – denn was sollte er dann sonst tun, als sich im nubischen Vorgebirge mit dem Nil zu vereinen?»
    «Blödsinn!» ruft Twit, dem die Augen von einer allzu großen Dosis Schnupftabak tränen. «Das ist alles Phantasie, sage ich euch. Ein Traum. Nicht wirklicher als Atlantis oder das Schlaraffenland.»
    Durfeys steht noch und fängt nun vor Verwirrung zu stammeln an: «Aber – aber, Gentlemen   … ich hatte es   … direkt aus Johnsons Mund   –»
    «Pffft, Johnson.» Llandaffs Gesicht wird von seinem Nasenzinken mittendurch geteilt wie ein halbierter Apfel;seine Ohren wirken, als würden sie gleich davonflattern. «Noch so eine Stimme der Faktenverdunklung vom Schwarzen Kontinent. Ein schießwütiger Hitzkopf. Ein Nigger-Kannibale mit einer billigen Perücke auf dem Kopf. Nächstes Mal können wir ja alle unsere Putzfrauen und Gärtner konsultieren, wenn wir einen Kartographen brauchen.»
    «Ja, Reginald – was ist mit Ihrem prächtigen Johnson?» fragt Edwards. «Was hat er bis jetzt für uns zustande gebracht – den Verlust eines weiteren Entdeckungsreisenden?»
    In diesem Moment räuspert sich Sir Joseph Banks. Durfeys sinkt mit rotem Gesicht auf den Stuhl zurück. Sechs Augenpaare heften sich auf den Präsidenten. «Der Begriff, Mr.   Beaufoy, lautet ‹geographischer Missionar›, und es ist wahr, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß wir so langsam nach einem neuen Mann zur Erkundung der Niger-Region Ausschau halten sollten. Von dem jungen Schotten sind wir nun schon fast acht Monate ohne Nachricht.» Der Präsident starrt in sein Glas, fährt nachdenklich mit dem Finger über den Rand. «Tatsächlich deutet vieles darauf hin, daß es noch schlimmer steht, als Sie vielleicht vermuten, Gentlemen. Vor mir habe ich ein kürzlich eingetroffenes Schreiben von Dr.   Laidley, unserem Faktor am Gambia.» Sir Joseph verstummt und hebt dann langsam den Kopf. Sein Blick geht in die Ferne und ins Leere, als erwache er gerade aus einem Traum. Auf der

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