Wassermusik
vollgestopft mit Notizen über Sitten und Gebräuche, Entfernungen, Temperaturen und topographische Kuriosa – der Filz-Zylinder am Rand des Piers wie ein seltsamer Pilzbewuchs. Wohlverwahrt und trocken. Johnson klopft ihn am Bein aus.
«Mansas Palast?» schlägt Mungo vor.
Johnson reicht ihm den Hut. «Mansas Palast.»
MANSONG
Der Herrscher von Bambarra hat soeben ein enormes Frühstück beendet (gebackene Bananen, vier Sorten Melone, gekochten Reis mit Spinat, gebratene Buntbarsche, Mohrenhirse-Pudding, Palmwein) und stillt gerade seine Lust an zwei präpubertären Knaben, die er sich unter den Flüchtlingen aus Dscharra erwählt hat, als ihn die Nachricht von der Ankunft des Entdeckungsreisenden erreicht. Seine erste Reaktion ist ein langgezogener Rülpser. Nackt, dickbäuchig, träge, so liegt er ausgestreckt unter der großen Eselsfeige im Innenhof seines Regierungspalasts, reglos wie ein Krokodil in der Sonne. Sandelholz läßt die Luft süßlich duften, in Käfigen trällern Vögel von Frieden und Einsamkeit, von der Kühle des Regenwalds. Die königlichen Fliegenklatscher, dürre alte Männer in Lendenschurzen, sind vollauf beschäftigt, das leise Zischen ihrer Schläge ist wie Schritte in einem Traum. Versonnen saugt Mansong an der Hookah, in deren Pfeifenkopf der
mutokuane
1 glüht, und denkt: «Ah, ja», während seine zwanzig grimmigen, ihm ergebenen Leibwächter mit langstieligen Fächern einen leisen Luftzug aufrühren. Ihm schwinden fast die Sinne. Der jüngere der Knaben verpaßt ihm eine zarte Fellatio, währendder andere ihm das Gesicht leckt, mit fester, tastender Zunge über Lippen, Nase und Augenlider fährt, als schlecke er Milch aus einer Schale. Das Ganze ist so wonnig und sinnlich, ein solcher Orgasmus der Neuronen und Synapsen – ein solcher Trip –, daß er den Kurier zunächst gar nicht registriert. Bleicher Dämon? Katzenaugen? Massenhysterie? Dann aber dringen die Worte wie Stecknadelstiche allmählich durch: draußen vor dem Tor, ein weißer Schrecken, Einlaß verlangend. Jetzt. Diesen. Moment.
Mansong fährt hoch, stößt die Knaben beiseite. «Was?» brüllt er. Die Fächer fallen raschelnd zu Boden, als die Leibwächter nach ihren Speeren greifen, die Vögel verstummen, die königlichen Fliegenklatscher verdoppeln ihr Bemühen. Mansong steht jetzt neben der Hängematte, riesig, furchterregend, mit mahlenden Kiefern wie ein Flußpferd, das man aus dem Schlamm aufschreckt. Schon schließt sich eine wulstige Faust um den Hals des Boten, die andere holt zum Schlag aus. «Was sind denn das für Lügen?» ruft er donnernd.
«Keine Lügen – die Wahrheit», erwidert der Bote und wirft sich zu Boden. «Ein Dämon, so weiß wie Muttermilch, ist in die Stadt eingedrungen und hat sich in den Fluß gestürzt, das Wasser zum Gerinnen gebracht. Sodann hat er das Volk von der Straße verjagt, dabei in rauhen, fremden Lauten gesungen und geschnattert. Und nun ist er gekommen, dich zu sprechen, o Mansa.»
Mansong nimmt den Fuß vom Nacken des Mannes. Plötzlich sieht er aus, als finge er gleich zu weinen an. «Mich?» flüstert er.
Der fußfällige Bote rollt die Augäpfel nach oben, als läse er von einem Spickzettel ab, der an seiner Stirn klebt. «Das hat er gesagt.»
«Schakal! Du lügst!» Wieder kracht der Fuß herab, preßt die Wange des Boten in den Schmutz. «Eben noch behauptestdu, dieser Dämon redet mit rauher, fremder Zunge. Wie kann er dann sagen, er wolle mich sprechen?»
Durch den Druck von Mansongs Fuß ist das Gesicht des Kuriers verzerrt, seine Lippen wölben sich vor wie die eines Fisches. «Mandingo kann er auch.»
Mansong taumelt zurück, als hätte man auf ihn geschossen. Spricht Mandingo? Nun ist alles vorbei. Sie haben einen Zombie aus der Unterwelt gesandt, seinen Thron einzunehmen. Sie werden ihn in Ketten legen und in unterirdische Kavernen hinunterführen, durch stinkende Höhlen, wo die Untoten jammern und stöhnen, tiefer, immer tiefer hinab ins Reich der Schatten. Er mustert die Mienen seiner Leibwächter, alles Männer, die einen angreifenden Löwen wie einen Handschuh umkrempeln könnten, und er sieht die Angst in ihren Augen. Er will wegrennen, sich verstecken, das Land verlassen, sich in der Erde vergraben. «Du sagst … er ist da draußen … jetzt?»
«Ja, Mansa. Da draußen, jetzt.»
Der Potentat weicht zurück, seine Blicke zucken. Verschwunden die Sonne, der Feigenbaum, die Wächter – er sieht nichts als die durchscheinenden
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