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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Wand gegenüber tanzen im Schein der Lampe Desceliers’ Figuren; sie scheinen zu wachsen und wieder zu schrumpfen, zucken mit ihren vielfachen Armen und kopflosen Schultern, sie winken, sticheln und spotten.
    «Und?» hilft Llandaff nach.
    Sir Joseph reißt sich zusammen, richtet den Blick auf Durfeys. «Das Unternehmen ist geplatzt, fürchte ich. Park ist den Mauren in die Hände gefallen.»

WIE EINE WOLKE, DIE EINEN SCHWARM IBISSE VERSCHLUCKT
    Als Johnson durch die Tore von Segou Korro humpelt, Fliegenschwärme im Kielwasser, Mähre und Esel im Schlepptau, in der Hand einen Gehstock und den revitalisierten Ebo zur Seite, findet er zu seinem Erstaunen die Straßen fast leergefegt vor. Gähnende Fensterhöhlen, verlassene Marktstände, Packtiere – noch beladen mit prallen
guerbas
und Kiepen voll Feldfrüchten – stoßen gelassen die Schnauzen in Körbe mit Zwiebeln, Yams und Maniokwurzeln. Ein Schmiedeherd brodelt und faucht unter einem ausladenden Feigenbaum vor sich hin, Klumpen aus nassem Ton werden neben fertigen Töpfen in der Sonne hart. Werkzeuge liegen chaotisch herum, Ziegen blöken, weil niemand sie melkt, ein zum Verkauf ausgestellter Waran rennt stumpfsinnig an seinem Strick im Kreis. Von irgendwoher kommt der Geruch nach verbrennendem Brot. Johnson fühlt sich unbehaglich. Es ist merkwürdig, unheimlich: wie in einem Märchen. Schneeweißchen und Rosenrot, Dornröschen. Als er ein Paar Augen entdeckt, die ihn hinter einer Bambuswand beobachten, dreht er sich zu Ebo um. «Was meinst du, was hier los ist?»
    Aufgedreht und blind für seine Umgebung stolziert der Alte daher wie ein Teenager auf dem Weg zum Tänzchen. Jetzt bleibt er abrupt stehen. «Was soll los sein?» sagt er, indem er Johnson auf die Schulter klatscht und in ein sägendes, pfeifendes Kichern ausbricht. «Es ist Feiertag, das ist los. Wein, Weib und Gesang.»
    Johnson starrt in die Gegend.
    «Spürst du das denn nicht?»
    «Kommt mir eher vor wie ’ne Cholera-Epidemie.»
    Ebo zwinkert ihm zu. «Folge mir», sagt er.
    Sie biegen in eine von Tamarinden und Bambuspalmen gesäumte Straße ein. Die Häuser aus getünchtem Ton wirkenbeinahe malerisch. Gemüsebeete, Laubengänge, sogar ein paar Blumen sind zu sehen. Kein Paradies auf Erden vielleicht, aber dennoch nett – sehr nett. Johnson wird bewußt, daß dies die größte Stadt ist, die er seit seinem Weggang aus London gesehen hat. Pisania war dagegen ein Rieselfeld, und Dindiku ist bei all seinem Charme nur ein Hinterwäldlerdorf. Er bemerkt, daß er auf einmal an
sulu
-Bier denkt – und an Hammelfleisch.
    An der nächsten Ecke stolpern sie über einen Betrunkenen, der quer auf der Straße liegt. «Baaa», macht er. «Urp.» Johnson bückt sich zu ihm, das Perlhuhn beschreibt einen großen Bogen und kommt baumelnd knapp unter dem Kinn des Betrunkenen zur Ruhe. «Was ist hier los?»
    Der Mann sieht ihn an, rote Augen, schlaffe Lippen. «Besoffen», murmelt er.
    «Nein. In der Stadt, meine ich. Was ist hier eigentlich los? Wo sind denn alle hin?»
    «Weiß», nuschelt der Mann. «Weiß wie   …» Er unterbricht sich, um sein Brustbein zu beklopfen und in den Staub zu spucken. «Weiß wie ’n eingesalzener Geist. Weiß, weiß, weiß. Wie eine Wolke, die einen Schwarm Ibisse verschluckt.»
    Johnson kriegt es allmählich mit. «Wo ist er?»
    «Weiß wie Leinen, weiß wie der Tag. Weiß wie Fangzähne und Knochen und der Vollmond auf ’ner Lichtung.» Der Betrunkene hat sich nun aufgesetzt, sein Geplapper klingt wie ein Kinderreim, geistloser Singsang, endlose Wiederholung.
    Johnson steht schwankend und schwer atmend auf. Der Entdeckungsreisende ist ein unschuldiger, heiliger Narr. Lebendig grillen werden sie ihn, und kreuzigen. Er muß ihn finden. «Ebo!» ruft er und wirbelt herum. «Wir müssen Mr.   Park finden.»
    Aber Ebo ist schon einen halben Block weiter, steht stocksteif mit geweiteten Nasenflügeln da und schnuppertden Wind. Dann stampft er plötzlich grinsend auf, fuchtelt mit den Armen wie ein Jongleur, der neun Teller in der Luft hat. «Hier lang», deutet er. «Komm schnell!»
    Johnson zerrt am Lederriemen, und Pferd und Esel trampeln ihm mechanisch hinterher. «Weiß wie Schneidezähne!» brüllt der Betrunkene noch. «Weißer als ’ne tote Schlammschildkröte!»
    Ebo läßt sich wie ein Schlafwandler von seiner Nase treiben. Zwei Blocks nach links, dann wieder rechts, über den verlassenen Marktplatz, in eine schäbige Straße voll Unrat und mit gelbverfärbten

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