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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eingefallenen Rücken seines Gauls festgezurrt ist. «Prachtvolle Geschenke», ruft Johnson. «Exotische, magische Dinge – wie geschaffen für einen Gott und Kaiser.»
    Mit einemmal schwingt das Tor auf, und der Diener, ganz verschrumpelt vor Besorgnis, winkt sie herein. Der Entdeckungsreisende und sein Dolmetscher treten durch das Tor in einen ummauerten Hof, der vor bewaffneten Wachen nur so strotzt. Es sind Riesen, an die 2,10   Meter lang, Pektoralmuskeln wie Eisen, und Messer, Speere, Pfeile und Bogen blitzen auf den schwarzen Schatten ihrer Körper. Sie tragen Lendenschurze aus Leopardenfell, Kopf und Fußknöchel sind mit Straußenfedern geschmückt. Jeder von ihnen hätte den Parlamentssaal in dreißig Sekunden leergefegt.
    Als aber der Entdeckungsreisende an ihnen vorbeigeht, fällt ihm auf, daß sie den Blick abwenden und sich an ihren
saphis
festklammern, und daß ihre wulstigen Lippen sich wie im Gebet bewegen. «Zounds!» flüstert Johnson und bedient sich damit eines seiner rätselhaften Ausdrücke aus den Kolonien. «Denen haben Sie aber Respekt eingeflößt.»
    Unter Händeringen und kummervollem Gezerre an seinen Lippen und Ohren führt sie der Diener lange durch immergleiche Zimmer, Gänge und Höfe. Die Zimmer haben alle niedrige Decken und als Dekoration einen persischen Wandteppich, Schilfmatten auf dem Boden, ein paar irdene Töpfe; in den Höfen finden sich schmächtige Palmen, Wassertröge voller Grünzeug und Insekten, Vögel in Käfigen, Ziegen, Hühner, Eidechsen, Staub. Es kommt ihnen vor, als liefen sie meilenweit. In Räume hinein und wieder hinaus, durch so enge Verbindungsgänge, daß der Entdeckungsreisende die Schultern einziehen muß. Über einen Hof mit sechs Palmen, einen anderen mit zwei. Acht Hühner hier, vier Hühner dort. Hier eine Ziege, da eine Kuh. Schließlich bedeutet ihnen der Diener, der mittlerweile bebt wie ein Epileptiker kurz vor dem Anfall, am Eingang eines langen, schmalen Gangs zu warten. Sie sehen dem bleichen Farbfleck seiner Fußsohlen nach, während er auf den Punkt zuhastet, wo die Wände zusammenzulaufen scheinen. Sie sehen, wie er niederkniet, die Stirn gegen den Boden preßt. Sie hören, wie sie ankündigt werden: weißer Dämon und schwarzer Hexer.
    Zweimal stolpert der Entdeckungsreisende, dann befindet er sich in einem weitläufigen Hof, zwei- bis dreimal so groß wie die anderen. Über dem ganzen Platz brütet ein riesenhafter, verschlungener Feigenbaum, der auch in die hintersten Ecken noch ein wenig Schatten wirft. Bei näherem Hinsehen entdeckt der Entdeckungsreisende mit Schaudern, daß der Baum mit Menschenschädeln geschmückt ist, neben mehreren geschnitzten Figuren, dieunnatürliche Akte veranschaulichen: Autofellatio, Päderastie, Koprophagie. Die bizarrste Statue, mit lüstern verzerrten Zügen, zeigt eine schwangere Frau mit den vielfachen Zitzen einer Hündin, die gerade eine Schlange entweder verschlingt oder ausspeit, welche ihrerseits gerade den Kopf eines Säuglings verschlingt oder ausspeit.
    Am Fuß des Baumes, im Zwielicht des tiefsten Schattens, steht eine Art Thron aus roh behauenem Holz mit einigen Flecken greller Farbe. Neben dem Thron schläft ein weißer Hund in einer Wolke von Fliegen. Als er sich umdreht, sieht der Entdeckungsreisende, daß der schmale Gang mit bewaffneten Wächtern vollgestopft ist, schwarzen Riesen genau wie jenen, die das vordere Tor bewachten. Langsam fühlt er sich etwas unwohl in seiner Haut.
    Unvermittelt springt mit einem Urschrei eine maskierte Gestalt hinter dem Baum hervor.
«Wo-ya-ya-yaaa!»
kreischt die Gestalt, stampft dabei mit den nackten Füßen in den Sand und schwingt drohend ein Zepter mit einem polierten Schädel an der Spitze. Mungo weicht überrascht ein paar Schritte zurück und steht plötzlich in einer flachen Wanne, die mit einer dunklen, eklig aussehenden Flüssigkeit gefüllt ist. Etwas davon ist ihm auf Stiefel und Hosenbeine gespritzt. Feucht und rot. Verdammt blutrot. Und nun ist auf einmal der Hund auf den Beinen, er heult und kläfft, Schaum vor dem Mund.
«Wo-ya-ya-ya-yiiih!»
grölt der Maskierte apokalyptisch, wirbelt in einem nebelhaften Gewirr aus Federn und Knochen auf ihn zu, und jetzt gellen gleichzeitig der Lärm von Trommeln,
dum-baba-dum, dum-baba-dum
, und die Wächter mit dem Refrain los:
«Ya-ya, ya-ya, yiiih!»
Der Entdeckungsreisende steht wie gebannt, paralysiert, Beine und Füße mit Blei ausgegossen, seine inneren Stimmen brüllen nach Selbsterhaltung,

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