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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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sich dann wieder gegen Segos Armee wenden. Also braut Ebo seine Mixturen und murmelt Beschwörungen, bis alle Sünden des Dorfes auf das Perlhuhn übertragen sind. Von da an ist es ein Kinderspiel: Man läßt die Henne ausbluten und hängt sie sich um den Hals, bis alles Fleisch von ihr abgefallen ist Und voilà: Sego wird mitten im Vormarsch aufgehalten.» Der Entdeckungsreisende sieht aus, als hätte er soeben eine Gabel verschluckt. «Du machst doch wohl Witze. Willst du etwa behaupten, daß du an diesen ganzen Hokuspokus glaubst?»
    «Nicht unsinniger, als an gebärende Jungfrauen oder an Leitern zum Himmel zu glauben.»
    «Willst du damit sagen – du stellst die Bibel in Frage?» Mungo ist abgrundtief schockiert. Mein Gott, es sind eben doch Wilde, denkt er. Man kann ihnen Kleider geben, Bildung, was man auch will. In Gedanken bleiben sie immer im Dschungel.
    Johnson steht schweigend mit verschränkten Armen da, seine Augen fixieren das Tor.
    «Also gut. Wenn er so verteufelt wirksam ist, dieser Trick mit dem Perlhuhn, was ist denn dann in Dscharra passiert?»
    «Sie sehen ja: Noch ist das Huhn nicht verrottet. Ebo war zu spät dran, das ist alles. Ganz einfach.» Er grinst. «Sie kennen doch das Sprichwort: Was du heute kannst besorgen   …»
    Mungo winkt ab. «Na gut. Ich laß mich ja von allem überzeugen – schwarze Magie und Hexerei und der ganze Krempel. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet: Warum mußt gerade du mit dem verfluchten Ding rumlaufen?»
    Johnsons Gesicht wird lang. Er sieht aus wie ein Hund, der beim Stehlen eines Koteletts ertappt wird. «Naja, ich dachte – also wissen Sie, immerhin waren wir am Verhungern   –»
    «Du meinst doch nicht etwa   …»
    Johnson nickt. «Ich wollte es mit den Pilzen und Tomberong-Beeren und allem verkochen. Scheiße, ich dachte doch, der wär tot. Was hätte es schon geschadet?»
    «Und jetzt – hast
du
all diese Sünden am Hals?» Gegen seinen Willen, irgendwo tief drinnen in seiner abergläubischen Seele spürt nun auch der Entdeckungsreisende die Klauen eines namenlosen Schreckens. Ghoule und Geister und Bi-Ba-Butzemänner.
    «Weil ich danach gegrabscht hab. Wie ein Idiot. Und Ebo hat nur drauf gewartet, mit angehaltenem Atem – hat sich tot gestellt, diese listige Schlange.» Johnson zupft an seiner Toga und seufzt. «Und jetzt bin ich Chakalla für jedes kleinste Tabu verantwortlich, das in der Geschichte dieses gottverlassenen Provinznests je übertreten worden ist. Für jede Schwangere, die ein Ei gegessen hat, und jeden Kerl, der mit einem Schuppentier kopuliert hat. Für jedes junge Mädchen, das bei zunehmendem Mond rückwärts gegangen ist, sich das Gesicht mit dem Saft der Hûna-Beere eingerieben oder sich die Schamhaare mit der rechten Hand ausgerissen hat. Und damit fängt’s ja erst an. Dann gibt es noch die Vogeltabus, die Fäkaltabus, die Unterkiefer-Tabus. Wußten Sie, daß man das Kinn nicht mit dem Zeigefinger berühren darf, wenn man auf der Nordseite eines Lagerfeuers sitzt?
    Und jetzt fällt das alles auf mich zurück. Chakalla wird die Sünden aus mir rausprügeln. Wenn ich jedem Ärger aus dem Weg gehen kann, bis von diesem verdammten Vieh nichts als das vertrocknete Gerippe übrig ist, dann werde ich noch auf Ebos Grab tanzen. Wenn nicht – halten Sie meinen Namen in Ehren.»
    In diesem Moment werden sie durch ein Schlurfen auf der anderen Seite des Tors unterbrochen. Gleich darauf öffnet es sich einen Spaltbreit, und ein Diener steckt den Kopf heraus. «Mansong kann euch jetzt nicht empfangen. Kommt nächstes Jahr wieder.» Das war’s. Der Kopf verschwindet, das massive Tor geht quietschend zu.
    Mungo ist sprachlos, vor Überraschung wie gelähmt. Doch Johnson, flink wie immer, springt vor und rammt den Fuß in den Türspalt. «Hör mal zu», sagt er, um jeden Zentimeter kämpfend, «wir müssen den Mansa jetzt sofort sprechen. Augenblicklich. Wir haben einen langen, beschwerlichen Weg hinter uns, und wir finden, etwas Gastlichkeit hätten wir wohl verdient. Und außerdem: Wir haben Geschenke für ihn.»
    Der Kopf des Dieners taucht wieder auf. «Geschenke?» Seine Stirn furcht sich. «Sekunde bitte», sagt er, ehe er wieder verschwindet. Hinter der Tür hört man debattierende Stimmen. Minuten verstreichen. Zwei schillernde Eidechsen jagen einander die Mauer hinauf. Der Entdeckungsreisende zupft sich einen Brocken Entengrütze vom Rock und betrachtet kummervoll den Sack mit Tauschwaren, der auf dem

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