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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Nigerflusses zu liefern. Leider interpretieren die ihm am nächsten stehenden Bambarraner seine Motive völlig falsch und weichen unter Geschrei zurück. Sekunden danach ist das Geschrei allumfassend: Panik bricht aus.
    Johnson wird vom Esel gestoßen und mit Füßen getreten. Aussätzigen fallen Finger und Zehen ab, Blinde rennen Mauern ein. Schreie und Flüche erheben sich, Ausrufe des Schmerzes und der Überraschung, das Trampeln von Füßen und das Wehklagen verirrter Kinder. Die Menge brandet gegen die Lehmhäuser an wie eine Springflut, ergießt sich in die Straßen und Gassen, wird vom Sog der Widerseedavongespült. Zwei Minuten später liegt der Platz verlassen da, das Ufer leergefegt, kein einziges Boot mehr auf dem Fluß. Übriggeblieben sind nur Johnson, Pferd und Esel, alle sehr mitgenommen, und der amphibische Entdeckungsreisende. In der Ferne: das Geräusch von Tumult und Durcheinander, gellenden Stimmen, knallenden Türen.
    Inzwischen ist der gelbe Kürbis – unaufhaltsam und jenseits allen Zweifels – nach Osten davongetrieben. Der Entdeckungsreisende, der sich kurzfristig durch den Lärm beim Rückzug der Bambarraner ablenken ließ, wendet sich nun mit einem Ausruf des Entzückens wieder seinem Experiment zu. «Bitte!» jauchzt er. «Na bitte!»
    Johnson erhebt sich ächzend aus dem Staub und humpelt ermattet an den Rand des Wassers. «Mr.   Park», ruft er. «Kommen Sie jetzt da raus, damit wir Fürst Mansong unsere Aufwartung machen können, bevor er seine Soldaten auf uns hetzt.»
    Der Entdeckungsreisende blickt auf, tropfnaß, Algenbüschel hängen ihm aus Bart und Haaren. Seine Taille wird von der trägen Strömung des Flusses umspült. Er betrachtet Johnson wie jemand, der aus tiefem Schlaf erwacht.
    Johnson sitzt rittlings auf dem Pier, die Arme in die Hüften gestützt, und hält sein Plädoyer. «Also: Wenn wir’s richtig anstellen und ihm ein paar Geschenke und Kinkerlitzchen oder so anbieten, dann behandelt er uns möglicherweise als durchreisende Würdenträger. Und das bedeutet Essen und Trinken, ein Dach überm Kopf, eventuell sogar ein wenig weibliche Gesellschaft. Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen, aber mir hängt’s jedenfalls zum Hals raus, dauernd im Dreck zu schlafen, Disteln zu fressen und mir selber einen von der Palme zu schütteln.»
    Der Entdeckungsreisende watet auf ihn zu, seine Augen sind butterweich, die Arme zu einer weiten, vagen Umarmung ausgestreckt. «Johnson – wir haben’s geschafft! Der Niger, Johnson.» Er macht eine Pause und fuchtelt mit demArm zum gegenüberliegenden Ufer hinüber. «Sieh doch nur! Breit wie die Themse bei Westminster. Und man stelle sich vor: All die Jahrhunderte, von der Schöpfung bis zu genau diesem Augenblick, ist er in Unwissenheit und Legende dahingeflossen. Es hat
mich
gebraucht, alter Junge. Es hat
mich
gebraucht, ihn zu entdecken.»
    Johnson wirft einen Blick nach hinten, auf die getünchten Gebäude, die sich auf dem Hügel drängen, auf die Reihen der Bambuspiere entlang des Ufers, auf die Einbäume, die an den Tauen zerren. «Ich weiß das zu schätzen, Mr.   Park, und ich entbiete Ihnen meinen aufrichtigsten Glückwunsch. Aber wenn wir nicht bald unsern Arsch rüber zum Palast des Mansa bewegen und anfangen, uns ihm zu Füßen zu werfen, könnte es passieren, daß wir nicht lange genug leben, um davon zu berichten.»
    Die Sonne knallt auf sie herab wie eine Faust, auf der rissigen Erde des Platzes wabert die Hitze, irgendwo winselt ein Hund. Alles dampft und stinkt. Üble Gerüche hängen in der Luft, ätzend und schwer von Fäulnis. Sie lassen an Fischköpfe denken, an menschlichen Kot, schwärzliche Blätter, Morast. Schlagartig beginnt sich der Entdeckungsreisende unwohl zu fühlen. Oder vielmehr überwältigt. Alles wird nun langsamer, antiklimaktisch, und allmählich erwachen seine Sinne wieder zur Realität von brennender Sonne, fauligem Wasser, stinkendem Ufer. Er greift nach Johnsons Hand und zieht sich aus dem Fluß.
    «Hast recht, Johnson. Wir können feiern, wenn wir wieder in Pisania sind. Einstweilen aber haben wir etwas zu erledigen.» Die Stimme des Entdeckungsreisenden stockt, ein plötzlicher Schauer durchfährt seinen Körper. Der blaue Samtrock hängt schlaff, verdreckt, formlos an ihm herab, Entengrütze klebt ihm am Hemd, seine Stiefel sind Fischteiche. Ein riesiger Wasserläufer hat sich im Gestrüpp seines Bartes verfangen und rudert unbeholfen mit den langen Beinen.
    Hinter ihm liegt –

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