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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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der Deckel aus den Scharnieren gehebelt. Leer. «Was habt ihr mit meinem Geld gemacht, ihr Schweine?» Ned sprang in die Höhe. Boyles, total betrunken, setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen.
    «Nennen wir’s ’nen gerechten Ausgleich für die Demütigung, wasde uns zugefügt hast, du kleine Ratte», zischte Mendoza.
    «Neddy!» Boyles hielt ihn am Ärmel gepackt. «Ich wollt denen nix sagen – aber se ham mich zu erzwungen.»
    Ned fühlte die Wut in sich aufsteigen. Kein Durchbrennen nach Holland mehr, diese Schweine, und es drohte Prügel. Verteufelt viel Prügel. Plötzlich packte er die Eisenkiste, schleuderte sie dem jungen Stutzer ins Gesicht und machte einen Satz zur Tür hin. Mendoza war schon da. Der Totschläger traf ihn am Backenknochen, zweimal dicht hintereinander – und dann war Smirke an der Reihe.
    Smirke schlug auf ihn ein, als er von Mendoza zurückprallte. Der erste Treffer ließ ihn taumeln; die Wucht des nächsten trieb ihn rückwärts zum Fenster, Smirke war ihm mit wirbelnden Armen dicht auf den Fersen, noch ein Schlag, und noch einer, und er ging zu Boden, torkelte rückwärts, stieß jemanden an – Twit?   –, dann kam der Lärm von splitterndem Glas und ein Schrei, gefolgt von einem gleichzeitig hoffnunglos-ungläubigen und wütenden Quieken – das Geräusch, das ein Schwein macht, wenn das Schlachtmesser ihm die Kehle durchbohrt.
    Ned lag auf dem Boden, in einem Meer aus Glas. Smirke und Mendoza hingen aus dem Fenster. Der junge Stutzer saß in der Ecke, wischte sich das Blut vom Kinn undgreinte. «Ich bin entstellt», wimmerte er, «ich bin entstellt.» Dann kam Mendozas Stimme, erschüttert: «Gütiger Gott, er hat sich aufgespießt.»
    Ned kam schwankend auf die Füße und sah ebenfalls hinaus. Unten lag Twit, merkwürdig verrenkt, von den eisernen Zaunstangen gepfählt. Eine Menge rottete sich zusammen. Zwei Männer beugten sich mit einer Fackel über ihn. «Der is hin», sagte einer der beiden.
    Mendozas Gesicht war aschfahl. Plötzlich hielt er Neds Arm gepackt. «Das wär dann also Mord», rief er. «Holt ’nen Wachmann.»

EIN SCHUSS INS DUNKLE
    Einen Moment lang ist gar nichts mehr, keinerlei Geräusch, nur die Schwärze des Urwalds und das langsame Tropfen des Regens. Die Dunkelheit ist derart vollkommen und undurchdringlich, so sehr ein Fehlen von allem, daß er ebensogut blind sein könnte. So muß es wohl sein, in einer Höhle zu wohnen, denkt er, ohne Feuer und ohne Kerzenwachs, so ist es also, wenn man im siebten Kreis der Hölle ankommt. Und dann fängt es wieder an: Zweigeknacken, behutsame Schritte, das träge, keuchende Knurren wie ein Warnsignal: Ich habe Angst, aber ich werde töten.
    In Panik wühlt Mungo in dem Laub und dem feuchten Schimmel nach einem Stein oder Ast, einer Wurzel, den Kieferknochen des toten Esels, nach irgend etwas, das er sich schützend vors Gesicht halten könnte, falls das knurrende Wesen sich als Knäuel aus Zähnen und Klauen auf ihn stürzen sollte. Der Lehm liegt schwer und saftig in seinen Händen, wie Kaffeesud oder der schwarze Dreck am Boden eines Grabes; wurmartige Viecher glitschen ihm durch die Finger, eine Spinne flitzt seinen Arm hinauf. Doch da, er hat etwas erwischt, einen Stock oder so – nein,es ist dicker und schwerer, so groß wie ein Knüppel. Er zieht daran, um es freizubekommen, aber es scheint festzuklemmen. Und jetzt wird auf einmal das Knurren noch lebhafter, als stelle sein Griff nach dem Stock eine Provokation dar. Es kommt näher, warnend, drohend, fluchend, sein heißer Atem, das Spucken und Zischen. Er reißt an dem Stock, als ginge es um sein Leben, wie im Fieber, das zähnefletschende Ding ist jetzt ganz dicht neben ihm, das Knurren wird zum Brüllen, blutrünstig, wahnsinnig, grrrrrrr!
    Aber natürlich folgt auf die finsterste Stunde immer gleich die Morgenröte. In diesem Augenblick wird die Szene vom Aufblitzen einer Pistolenmündung erhellt, überschwemmt vom Widerhall des Schusses. Es gibt einen Moment der Erleuchtung – der Pferdekadaver, von dem er ein steifes Bein in der Hand hält, die brennenden, giftsprühenden Augen und die geschürzten Lippen der Bestie, die in der Nacht verschwinden – und dann senkt sich wieder der schwarze Schleier über alles, der Pistolenknall hallt noch in den Bäumen nach.
    «Mr.   Park – sind Sie in Ordnung?»
    Was kann er da schon sagen? Nackt, geprügelt, ausgeraubt und ohne Pferd – aber immerhin nicht verstümmelt und aufgefressen? Verloren, doch

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