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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Fanny hatte feierlich genickt.
    Trotzdem, als der Nachtwächter die zwölfte Stunde ausrief, war sie draußen im Garten.
     
    Nach dieser ersten verstohlenen Verabredung (bei der Hände gedrückt und Schwüre ausgetauscht wurden) strich Ned Rise jede Nacht in Sir Josephs Garten herum. Manchmal saßen er und Fanny dort stundenlang flüsternd und kuschelnd herum, ein andermal schlichen sie sich auch in ein Gasthaus davon, um etwas zu essen und sich bequemer ihre Liebe zu beweisen. Sie aßen Kaviar auf Toast. Sie tranken Wein. Fanny erzählte Ned von ihrer Zeit auf dem Bauernhof, von Trelawney, dem Gutsherrn, von dem Hackenduell. Ned berichtete ihr von seiner eigenen erbärmlichen Vergangenheit und seinem Kampf, sich daraus zu erheben und in der Handelswelt zu etablieren. Was ihm auch gelungen sei, endgültig und eindeutig. Er sei ein unabhängiger Geschäftsmann, erzählte er ihr, der das Privileg genieße, sich unter der Aristokratie und ihren Mitläufern zu bewegen, ein guter Bekannter von Leuten wie Lord Twit und Beau Brummell. Ihre Augen weiteten sich beim Erwähnen solch illustrer Namen. Sie drängte ihn nach Einzelheiten. Er erfand sie einfach. Und dann, als sie eines Nachts im hohen, weichen Gras unter der Linde in Sir Josephs Garten lagen, fragte er sie, ob sie mit ihm durchbrennen wolle. Der Mond hing in den Zweigen wie ein Ornament. Sanft und leise begann ein Vogel zu singen. Sie war einverstanden.
    Ned war gerührt. Hier war ein neuer Anfang, ein Mittelpunkt, eine neue Tonart, nach der er sein Leben stimmen konnte. Er dachte an seine Klarinette. An Knospen, die sich im Dunkeln öffneten. An ein kleines Wirtshaus in Holland oder in der Schweiz vielleicht, an einen steinernen Kamin, einen Hund, Fanny an seiner Seite. Am nächstenMorgen löste er seine Klarinette beim Pfandleiher aus und buchte die Überfahrt für zwei Passagiere nach Den Haag, via Gravesend. Später führte er Fanny hinaus auf Lamb’s Conduit Fields und spielte für sie eine Clarino-Version von «Greensleeves», während Venus über den Himmel ritt. Noch zwei Wochen, dann würden sie auf und davon sein.
    Dennoch hatte er Sorgen. All das Herzeleid und der Sinnestaumel, so köstlich sie waren, hatten ihn von seiner Arbeit abgebracht. Dreiundsechzig Töpfchen mit «Tschitschikoffs Auslese» warteten ungenutzt im Keller der Bear Lane auf ihn. Die Störe hatten ihn längst im Stich gelassen, für diese Saison waren ihre Eierstöcke leer; seine Straßenjungen hatte er ausgemustert und je einen Fünf-Pfund-Bonus an Shem und Liam gezahlt – aber auch seit fast einem Monat kein Glas Kaviar mehr verkauft. Zwar lief die eiserne Kiste unter seinem Bett schon bald über – beinahe 350   Pfund waren darin   –, aber es hatte ihm ja beträchtliche Auslagen verursacht, Fanny den Hof zu machen, und es wäre doch eine Schande, diese letzten dreiundsechzig Töpfchen schlecht werden zu lassen. Außerdem würden sie jeden Groschen brauchen, um sich in Amsterdam eine Basis zu schaffen, bei all den holländischen Schlauköpfen, die da herumliefen.
    Also machte er sich wieder auf den Weg und zurück zu Handel und Wandel, bot seinen Kaviar mit apostolischer Inbrunst feil. Zwei zum Preis von einem, eins zum Preis von zweien. Katharina die Große ißt ihn auch, erzählte er dem Chefkoch von «White’s». Spült ihn runter mit eiskaltem Wodka und Krügen voll Kwas. Er reichte dem kleinen Mann eine Probe zur Begutachtung. Das Etikett zeigte ein formloses Gebäude, in Blockbuchstaben als «Der Kreml» identifiziert, daneben einen Wolf, der aussah wie ein epileptischer Seehund. Der Chefkoch nahm sechs Stück. Lord Stavordale, mächtig im Öl nach seinem Abgang aus «Boodle’s Club», wo er 1100   Pfund beim Whist verloren hatte,kaufte ein Glas und schlürfte es auf der Stelle leer. Lady Courtenay schickte zwei Stück an ihre unverheiratete Tante in Bath; die Herren Grebe und Parslay bestrichen in der vornehmen Bond Street zum Lunch ihre Salzcrackers damit; Rose Elderberry, die Gefährtin der Premiersgattin, benutzte es als Gesichtsmaske. Je weniger es von «Tschitschikoffs Auslese» gab, desto mehr stieg die Nachfrage. Ned wurde seinen Vorrat innerhalb einer Woche los.
    Er rechnete seinen Umsatz durch, minus Ausgaben (Verkleidungen, Töpfe, Etiketten, Salz, Sänftentaxis usw.), und stellte fest, daß sein Sparstrumpf um über hundert Pfund gewachsen war. Es lief hervorragend. Aber warum jetzt aufhören? Man war mitten in der Heringssaison. Shem und Liam zogen die

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