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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Viecher schubkarrenweise aus dem Fluß. Er mußte die Eier nur salzen, mit etwas Schuhpasta schwärzen, in die Töpfe füllen und Etiketten draufkleben, und wer würde schon den Unterschied merken? Und selbst wenn – in einer Woche war er in Holland. Er mischte sechsundzwanzig Gläser von dem Zeug ab, wobei er auf Froschlaich zurückgriff, als der Herings-Nachschub ausblieb, besorgte sich das Kostüm eines russischen Balalaikaspielers und wurde die Ladung an einem Nachmittag los. Weitere zweiundfünfzig Pfund fanden den Weg in seine Kiste, und alles davon war für Fanny.
    Eines Abends jedoch, nicht einmal mehr eine Woche vor dem großen Tag, erschien Fanny nicht zur verabredeten Stunde. Ned war wie vom Donner gerührt, grämte sich, brach unter der Last von Verdacht und Schwermut bald zusammen. Ruhelos ging er drei Stunden lang unter den dunklen Fenstern auf und ab, sein Magen rumorte, in seinem Kopf rasten Flüche und Entschlüsse und Anklagereden, bis er schließlich seine Frustration an einem Pfingstrosenbeet ausließ und niedergeschlagen über die Gartenmauer stieg. Oben angekommen, bemerkte er jedoch ein Geräusch, das von irgendwo aus dem Haus herkam. Eine Art Ziehen oderSummen, wie eine Fliege, der eine Fensterscheibe im Weg ist. Er hielt den Atem an. Da war es wieder:
pssssssssst.
    Er ließ sich zurück in den Garten fallen und kam vorsichtig dem Haus näher. Drohend erhob es sich über ihm: die Fensterläden heruntergelassen, dunkel wie ein Grab, drei Stockwerke und der Dachboden. Schattenballungen kennzeichneten Büsche, Steingärten, Bänke und Vogeltränken. Als er unter der Linde stand, sah er, daß bei einem Fenster im zweiten Stock die Läden ein Stück weit geöffnet waren. «Fanny?» rief er leise.
    Ihre Stimme kam als gepreßtes Flüstern: «Ned, Ned – wo bist du, Ned?»
    «Hier», flüsterte er und trat aus dem Schatten hervor. «Was ist denn los?» Jetzt konnte er ihr Gesicht sehen, ein blasses Oval wie ein auf der Spitze stehendes Ei vor dem tiefschwarzen Zimmerinneren.
    «Psssst! Lady B. ist uns auf die Schliche gekommen. Jedenfalls hat sie Verdacht geschöpft. Sie hat alle Türen verriegelt und den Schlüssel mit ins Bett genommen.»
    «Nicht doch. Das kann sie doch nicht machen.» Die Neuigkeit trifft ihn wie ein Stich in den Unterleib, die hoffnungsfrohe Erektion, die beim Klang ihrer Stimme angehoben hatte, ebbt schon wieder ab und macht abgrundtiefem Schmerz, Sehnsucht und Enttäuschung Platz. «Diese Drecksau», murmelt er, und plötzlich grabscht er nach den dünnen Efeuranken, mit denen die untere Hauswand wie mit Riffeln überzogen ist. Dann klettert er eben einfach zu ihr rauf, genau das wird er tun.
    «Ned!» zischt sie. «Du weckst noch das ganze Haus auf.»
    Sie hat recht. An die siebzig schlaffe Efeustränge hängen an ihm herab, und er hat noch keinen Fuß vom Boden gekriegt. Er wischt sich Blätter aus dem Gesicht, tritt ein paar Schritte zurück und verlangt eine Erklärung – was ist schiefgelaufen?
    Sie berichtet, so schnell sie kann, mit gedämpfter Stimme. Der fehlende Schlaf hat sie verraten. Lady B. machte Bemerkungen über ihre schleppenden Bewegungen, ihr schwerfälliges Mienenspiel beim Lächeln – aß sie auch genug? Fühlte sie sich krank? Dann erwischte Sir Joseph sie beim Dösen in der Bibliothek, den Staubwedel in der Hand. Er fragte sie, ob sie vielleicht abends zu lange aufbleibe, mit den anderen Mädchen herumalbere oder etwa diese anstößigen Romane von Horace Walpole und Mrs.   Radcliffe lese. Dies verneinte sie. Doch am nächsten Abend nickte sie mitten beim Servieren ein und verbrühte seine Lordschaft mit der Kaninchensuppe. Lady B. schickte sie hinaus. Später wurde sie für ein regelrechtes Verhör in den Salon gerufen. Nein, es gebe keinen Mann in ihrem Leben, beharrte sie unter Tränen. Bitte, Ma’am, was müssen Sie von mir denken! Sie sei eben nur immer so rastlos in der Nacht, das sei das Heimweh nach dem Land, und deshalb habe sie sich angewöhnt, bis sonstwann im Garten zu sitzen, dem Grillengezirpe zu lauschen, und der Nachtigall. Sie habe nicht gewußt, daß das was Schlimmes sei. Lady B. sah aus wie ein Scharfrichter mit Bauchgrimmen. Sie bezeichnete Fannys Verhalten als «ungebührlich» und verschrieb ihr eine Woche lang Küchenarbeit, Gemüseputzen und Fleischklopfen. Das wird dich schon müde machen, mein Liebchen, sagte sie, und dann trug sie Alice auf, alle Türen im Haus abzuschließen.
    Ned fluchte bei der Vorstellung. Fanny in

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