Wasserwelten
verschwand. Oben am Strand wußte ich ältere Kursusteilnehmer, die rauchend dastanden und darauf warteten, ihren Spott an den Mann zu bringen. Ich nahm mir vor, es ihnen nicht allzu leicht zu machen, und nachdem ich Luft geholt hatte, ging ich wieder runter und streifte nach einer Beute. Und vor einem sanft wallenden Tangfeld erschrak ich plötzlich, es war ein glückliches Erschrecken, denn ich entdeckte, halb unter dem Tang, einen Flachfisch, wie ich ihn nie zuvor gesehen hatte.
Zuerst hielt ich ihn für eine riesige Scholle oder eine riesige Seezunge, aber das Interesse für die Gattungwurde sofort zurückgedrängt durch das Fieber der Jagd. Versunken in einer Art Unterwasser-Meditation lag der Fisch da. Er kehrte mir überraschenderweise die weiße Seite zu, was mich wunderte. Dann aber sagte ich mir, daß vielleicht alle Flachfische ihre weiße Seite nach oben kehren, wenn sie zu meditieren anfangen. Es bedeutete mir nicht viel, und ich eröffnete – wie man sagt – den Angriff. Tadellos, mit beinah ausgestrecktem Arm, den Ellenbogen leicht angewinkelt, glitt ich auf den Fisch zu – so vorschriftsmäßig, daß Signor Kwiatkowski seine Freude gehabt hätte, und ich dachte an die höhnisch wartenden älteren Kursusteilnehmer am Strand. Wie würden die sich wundern! Sicher, gelegentlich hatte einer von ihnen einen Fisch mit heraufgebracht – aber was waren das schon für Fische! Daumenlange Drachenköpfe, verschüchterte Jungkraken oder ein unmündiger Lippfisch.
Ich stellte mir schon den schweigenden Triumph vor, den ich genießen würde, wenn ich ihnen den riesigen Flachfisch vorweisen könnte. Mit vorgestrecktem Arm zielte ich auf den Fisch, schwamm näher, schwamm heran, bis die Pfeilspitze einen Meter über ihm war: da drückte ich ab. Der Pfeil schlug in das weiße Etwas, und ich stieß, die Leine und den Pfeil und die Beute hinter mir herziehend, nach oben, weil ich kaum noch Luft hatte. Durch die Brandung schwamm ich zu den Felsen. Die älteren Kursusteilnehmer kamen heran, halfen mir her- auszusteigen. Überlegen und wortlos zeigte ich auf die straffe Schnur. Meine Frau holte sie ein, und plötzlich hörte ich sie sagen: »Das ist doch die ›Times‹. Ja, sicher –wahrscheinlich eine Unterwasser-Ausgabe. Scheint aber schon älter zu sein, denn hier steht noch was von der Suezkrise. Immerhin, sauber getroffen, ein Blattschuß in jeder Hinsicht.«
In der Tat, die erste Beute, die ich harpunierte, war ein altes Exemplar der ›Times‹, das offenbar ein englischer Unterwasserjäger verloren hatte. Immerhin hatte dieses Blatt ausgereicht, um mir ein Gefühl der Hochstimmung zu vermitteln, wie man sie nur bei der Jagd über den Meeresboden erlebt. Abgesehen von allem ist die ›Times‹ ja doch ein gutes, ein durchaus lesenswertes Blatt. Ich sah keinen Grund zu übermäßiger Enttäuschung.
Und später, nicht einmal sehr viel später, konnte ich auch die erste Beute vorweisen – einen Tintenfisch, der mich so auffällig umspielte, als wollte er auf sich aufmerksam machen. Ich harpunierte ihn zufriedenstellend. Manchmal denke ich, er war krank oder litt an Depressionen. Doch dann, allmählich, entdeckte ich ein ganz neues – vielleicht auch ganz altes – Verhältnis zur Unterwasserwelt.
Als ich es meiner Frau zu erklären versuchte, meinte sie mit all ihrem praktischen Sinn: »Laß mal: das ist die zweite Kindheit, in der das Mutter-Meer entdeckt wird. Das Meer ist nun eben mal fruchtbarer als die Erde, fruchtbarer und verehrungswürdiger. Hier hat alles seinen Anfang genommen. Hier wurde die Magie des Chlorophylls entwickelt. Hier haben sich die Einzeller spezialisiert. Hier haben die Fluten die ersten Gewächse gewiegt. Vielleicht handelt es sich bei dir um eine Art vorgeburtlicherErinnerung – und nicht allein bei dir. Vielleicht ist diese ganze Leidenschaft für den Meeresgrund ein Zeichen legitimer Infantilität: Heimweh nach nasser, gelegentlich besonnter Vergangenheit.«
Merkwürdig, wie sich die Erde allmählich abgekühlt hatte – wobei ihre Granitrinde entstand –, so kühlte sich auch die Unterwasserleidenschaft meiner Frau ab. Meine aber blieb. Ich wurde ein alter Kursusteilnehmer, der auf die neuen, die das Trockentraining aufnahmen, mit der gebotenen Nachsicht blickte. Ich durfte, wenn Not am Mann war, sogar Signor Kwiatkowski vertreten, einmal auch Luigi Luagi. Ich genoß die Anerkennung von Luagi, der mich jedesmal heftig umarmte, und von Signor Kwiatkowski, der mir in
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