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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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Taucher warten. Diese Gefahren erschienen meiner Frau so abwechslungsreich, daß sie beschloß, sich alle zu notieren und auswendig zu lernen – wenigstens stichwortartig. Und mir fiel – überraschend – die Aufgabe zu, sie abzufragen.
    Nachdem man uns sorgfältig mit den Gefahren vertraut gemacht hatte, die auf einen Taucher warten, erläuterte man uns noch den Umgang mit Harpune und Unterwasserkamera, machte uns bekannt mit der Behandlung von Stichen, Stacheln und Wunden, zeigte uns Bilder der häufigsten Fischarten und demonstrierte endlich, was bei der Technik der Unterwasserjagd zu berücksichtigen sei. Damit – und ich fühlte mich durchaus so – waren wir vollkommene Nackttaucher, wenn auch erst auf dem Trocknen. Meine Frau meinte dazu: »War um nicht? Ein Gefühl für alles ist schon da. Ich fühle mich schon wie eine Makrele im Sandkasten oder, sagen wir, wie ein Arthropode: du weißt doch, die Gliederfüßer, die vor 350 Millionen Jahren als erste ein Element wechselten. Stell dir vor: die Pioniere, die uns den Weg gewiesen haben und von denen wir lernen – unsere Vorbilder waren Krabben, Hummer und ganz besondere Insekten. Heute garnieren wir diese Vorbilder mit Mayonnaise und essen sie mit Zitrone.«
    Doch eines Tages war die Zeit der Vorbereitung vorüber. Wir hatten, wenn auch nicht alles, so doch genug erfahren, und Signor John Kwiatkowski und Signor Luigi Luagi hielten uns für präpariert genug, die Bürgerschaft des Meeresbodens zu erwerben. So führten sie uns an einem späten Vormittag auf die Klippen, unter durchaus bedeutungsvollem Schweigen. Das Meer war ansehnlich, der Ort unserer Sehnsucht nicht zu erkennen, da Windstärke 1–2 herrschte. Obwohl die Sonne herabbrannte, fröstelten wir leicht – offenbar handelte es sich um vorweggenommeneEntzückungsschauer, um die vorzeitige Behexung durch die Unterwasserwelt. Unser Tauchlehrer musterte uns, zählte uns insgeheim ab und mahnte:
    »Nun wir wollen zeigen, was wir gelernt haben, du verstehn? Und alle hübsch zusammenbleiben. Wir wollen schwimmen im Kreis.« Damit stieg er ins Wasser, und wir watschelten mit angelegten Flossen, Masken und Schnorcheln hinter ihm her – eine Schulklasse von Arthropoden, die ausgezogen war, ein neues Elixier vorschriftsmäßig zu erobern.
    Ein Ruck, und ich schwamm; ich steckte den Kopf unter Wasser. Sanft fächelten die Flossen, hielten den Körper in der Schwebe. Und was ich zuerst sah: es war der tauchende Trompeter, der grinsend auf dem Meeresboden saß und zu meiner Frau heraufwinkte. Ich blickte an ihm vorbei, ich suchte das optische Abenteuer, und da, da war es plötzlich. Und ich empfand es genau wie der Trompeter, der seinem Tagebuch anvertraut hatte: »Cousteau soll gesagt haben, Tauchen ist der zur Wahrheit gewordene Traum vom Schweben. Der Mann hat recht, zumindest kann man das schwer bestreiten. Das Gefühl des Schwebens kommt einem auf höchst merkwürdige Weise bekannt vor. Es sollte sich doch wohl nicht um eine Ur- Erinnerung handeln? Ähnlich merkwürdig ist das Gefühl, durch ein Gitter von Pfeilen zu schwimmen, Lichtpfeilen, die die Sonne zum Grund schießt.
    Diese Strahlenpfeile kommen einem so massiv vor, daß man auf ihr Klirren wartet, wenn man hindurch- schwimmt und ein kleines, migräneartiges Ziehen imKopf spürt. Noch merkwürdiger aber ist die Erfahrung, daß man unter Wasser nicht die Stille findet, die man anzutreffen erwartet hat. Es knackt und knistert, rumpelt und klickt; eine ferne Eisenbahn, schreiende Kinder am Strand, das Schraubengeräusch eines Dampfers, alles ist zu hören, zumindest noch in gewisser Tiefe zu hören. Das Meer ist die Ursprungssphäre sämtlicher Lebewesen, und wo Leben ist, ist unweigerlich Lärm.
    Das ändert nichts daran, daß die Ursprungssphäre sämtlicher Lebewesen eine – wenn man es genau betrachtet – herausfordernde Schönheit besitzt. Es ist die verheißungsvolle Schönheit des Harems, die sich zunächst in den Farben zeigt: da ist persisches Nachtblau und ein bestimmtes Korallenrot, ein vielsagendes Dämmergrün und ein sanftes Violett. Das alles vor phosphoreszierenden Vorhängen: ein unterseeisches Miramar. Das pfeilförmige Seegras fächelt über den Grund, der Tang wallt in müden, sagen wir, in liebesmüden Bewegungen. In der Flossenspur liegen Perlen wie in einem orientalischen Rosengarten. Die Tiefe, die man empfindet, ist die kühle Tiefe von seidigen Kissen. Kurz gesagt: Nie war ich einem Harem näher als unter Wasser, und

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