Wasserwelten
träumerischer Dankbarkeit zunickte.
Unbeirrt gab ich mich meiner Hilfstätigkeit hin, und wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn mich nicht eines Tages eine ganz bestimmte Skepsis ereilt hätte. Bedenken stellten sich ein, als an einem Wochenende Autobusse aus Bebra, aus Xanten und Flensburg zu uns kamen, für deren Insassen ich Unterwasserausflüge veranstalten sollte. Autoreifen-, Kunsthonigfabrikanten schickten uns ihre Belegschaften, die ich bei gemeinsamen Spaziergängen auf dem Meeresgrund zu betreuen hatte. Immer mehr wurden es; Schulklassen erschienen und Meisterschulen für Mode, eine Gruppe von Zöllnern erschien, und als dann ein deutscher Architektenstab kam, um zu prüfen, ob man unter Wasser ein Hotel bauen könnte – alles aus widerstandsfähigem, durchsichtigemGlas –, ja, als die Architekten kamen, da wurde ich skeptisch.
Meine Frau unterstützte diese Skepsis, indem sie ein submarines Schreckenspanorama für die Zukunft entwarf. Sie meinte: »Das Beste steht uns noch bevor. Jetzt wird das Meer erst richtig entdeckt. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden sie unter Wasser Rennen veranstalten, boxen, Federball spielen und Denkmäler errichten. Und vielleicht wird es nicht mehr lange dauern, bis dann wieder die Erde stumm und verlassen und unbekannt sein wird – ein Gebiet, das entdeckt werden muß. Wir sollten beizeiten auf die Erde zurückgehen und uns da einen Platz sichern.«
1960
Aquariums-Kultur
oder
Der große Zackenbarsch
Ein geretteter Abend
Für Marcel Reich-Ranicki
Reichhaltiger kann das Angebot einer Volkshochschule nicht sein: ob Porzellanmalerei oder Anfangsgründe der tamilischen Sprache, ob Webtechnik oder polynesische Musikinstrumente – in unseren zahlreichen Kursen kann sich der Besucher, übrigens zu durchaus erschwinglichem Preis, vertraut machen mit dem Wissen der Welt, mit den Fertigkeiten und dem Ausdrucksverlangen des Menschen. Jeder bei uns weiß, daß dieses variationsreiche Angebot allein Alexander Blunsch-Hochfels zu verdanken ist, unserem Direktor, der immer wieder Lücken im Programm aufspürt und es sich nicht nehmen läßt, bei der Auswahl der Referenten ein Wörtchen mitzureden. Seine Gelassenheit, sein meditatives Wesen und nicht zuletzt seine gelegentliche Verklärtheit lassen mich bei jeder Begegnung daran denken, daß er sechs Jahre als Mönch gelebt hat.
Immer hätte ich ihn so in Erinnerung behalten, wenn ihm nicht jene Mittwochsveranstaltung eingefallen wäre, bei der vor zahlreichem Publikum von ihm sogenannte »Heilsame Ärgernisse« verhandelt werden sollten. Die erste Veranstaltung trug den Titel »Scharfrichter oder Geburtshelfer? Über das Wesen literarischer Kritik«. Zehn vor acht ließ er mich durch den Hausmeister zu sich rufen, vergaß, mir einen Platz anzubieten, mustertemich mit seltsam unterlaufendem Blick, wobei er, heftig nach Atem ringend, eine Hand beschwichtigend auf seine Herzgegend legte. Schließlich wollte er mit belegter Stimme wissen, ob ich bereits einen Blick in den großen Vortragssaal riskiert hätte, der laufe über, da werde gleich das Chaos ausbrechen, vermutlich habe man schon einige Besucher totgetrampelt. Gerade wollte ich ihn zu dem unerwarteten Interesse beglückwünschen, als er stöhnend feststellte: Wir haben keinen Referenten, Klausnitzer! Wir haben zur Eröffnungsveranstaltung keinen Referenten! Aber Schniedewind, sagte ich, er ist doch unter Vertrag. Schniedewind, sagte er erbittert und richtete seine Augen zur Decke, Schniedewind hat Viertel vor acht eine Nierenkolik bekommen; seine Frau hat das gerade bestellt. Mit einem verstümmelten Fluch sank er in seinen Armstuhl – ihm, der noch nie einen Fluch gebraucht hatte, fiel in besorgniserregender Verzweiflung tatsächlich das Wort Stinktier ein; und als ich die Unvorsichtigkeit beging, ihn zu fragen, was wir denn nun tun sollten, seufzte er: Einen Referenten, Klausnitzer, schaffen Sie einen Referenten her, beweisen Sie, daß Sie ein geborener Volkshochschulmann sind.
Ich stürmte in mein Zimmer, rief bei Häfele an – der redete gerade in Itzehoe; rief Klimke an – der erwartete den Kulturdezernenten; schließlich faßte ich mir ein Herz und fragte bei Seegatz an, der nichts anderes zu tun hatte, als mich höhnisch auf seinen letzten Artikel hinzuweisen, in dem er mit unserem Programm unbarmherzig ins Gericht gegangen
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