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Wasserwelten

Wasserwelten

Titel: Wasserwelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Lenz
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wenn’s mit rechten Dingen zugeht, so muß es etwas wie einen submarinen Eros geben.«
    Ja, es war mir ähnlich zumute wie dem Trompeter, sein Tagebuch sagte nicht zuviel. Und als wir schulmäßig im Kreis herumpaddelten und staunend, wie durch einen Vorhang, in diese herausfordernde Welt blickten, merkte ich, wie sich alles unvermutet erweiterte und wie sich einGefühl rätselhafter Verlassenheit einstellte. Doch nicht allein Verlassenheit: plötzlich sah ich einen Fisch, und in einer ebenso spontanen wie unkontrollierten Empfindung schwamm ich auf ihn zu und versuchte ihn am Schwanz zu packen. Irgend etwas soufflierte mir, daß dies möglich sein müßte. Es war das Hochgefühl, die Bezauberung durch das neue Element. Der Fisch hielt nichts davon und entzog sich mir durch einen lässigen Flossenschlag.
    Ich wollte ihn verfolgen, doch ein riesiges, fleischfarbenes Tier schoß auf mich zu und winkte mich nach oben – es war Kwiatkowski. Stumm, vergleichsweise andächtig, zogen wir unsere Kreise und sahen hinab auf ältere Kursusteilnehmer, die einen Kraken ärgerten. Sie bewegten sich so fischgleich, als ob sie nie den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen gewesen wären. Wir waren gerade dabei, uns in der neuen Heimstatt umzutun, als ein Geräusch erklang: jaulend und perfide, so daß wir erschreckt auftauchten. Ein Motorboot raste auf uns zu, und wenn ich mich nicht sofort hätte sinken lassen – nie mehr hätte ich einen Friseur nötig gehabt.
    So verlief die erste Inspektion in gleicher Weise verwirrend wie glimpflich. Meine Frau bilanzierte, als wir erschöpft am Strand saßen:
    »Das reicht mir. Wohin man auch kommt: überall ist schon wer. Der erste Blick auf den Meeresgrund, und wer liegt da? Ein Trompeter!«
    »Ich dachte, er sei dir nicht unangenehm«, sagte ich. »Da unten will ich was anderes erleben«, sagte sie. »Ichhatte mich auf die Stille gefreut. Was muß man erleben? Krach! Ich hatte mich auf die Einsamkeit gefreut. Und was ist? Der ganze Meeresgrund ist bevölkert. Bald werden sie da unten Zeitung lesen und Kaffee kochen. Und außerdem: wenn du hochkommst, um Luft zu holen, macht irgendeine Schiffsschraube Thüringer Mett aus dir. Für mich ist die Unterwasserwelt gestorben.«
    Diese frühe Enttäuschung setzte mir zu, trotzdem brachte ich es nicht fertig, sie zu teilen und den Kursus in einem Augenblick zu verlassen, wo uns der schönste Teil doch erst bevorstand. Ich rief mir noch einmal die ersten Eindrücke von der Unterwasserwelt ins Gedächtnis und beschloß, zu bleiben. Gleichzeitig überlegte ich, wie ich den Unmut meiner Frau dämpfen, wie ich vor allem ihre Neugierde für den Meeresgrund wieder hervorrufen könnte. Ich war keineswegs entzaubert. Nachdem ich gelernt hatte, die herausfordernde Schönheit der Unterwasserwelt zu empfinden – die Farben, das Licht, die Schwerkraftlosigkeit des Körpers –, nahm ich an regelmäßigen Streifzügen teil, auf denen wir die natürlichen Bewohner des Meeresgrundes erkundeten, ihre Arten und Unarten feststellten.
    Dabei fanden wir oft Gesellschaft; einem streunenden Maler begegneten wir, der unter Wasser Anregungen suchte, einem Hydrographen, der Wasserproben aus Grotten sammelte, einem jungen Archäologen, der darauf aus war, ein Wrack zu entdecken, aus dem er etliche Amphoren zu bergen hoffte. Zuerst hatten wir noch einige Schwierigkeiten bei der gegenseitigen Vorstellungunter Wasser, später ging es immer besser mit Verbeugung, Händedruck und zeichenhafter Befragung.
    Übrigens konnte ich feststellen, daß besonders der deutsche Mensch ein lebhaftes Verlangen zeigte, sich unter Wasser vorzustellen und eine Konversation zu beginnen. Gesellschaftsfreudig waren ebenso Italiener, Franzosen und Dänen, während Engländer auch auf dem Meeresgrund sehr selbstbewußt und einzelgängerisch erschienen. Obschon wir manche Stunde unter Wasser gemeinsam verschweigen ließen, widmeten wir uns doch auch gelegentlich den alteingesessenen Meeresbewohnern. Das heißt: Luigi Luagi charakterisierte in seiner Art Erscheinungsformen und Wesen unserer neuen Nachbarn. So stellte er beispielsweise fest:
    »Wohin wir auch gehen, überall sind wir der Nachbarschaft einiger Geschöpfe sicher. Im Wasser erwarten wir die Nachbarschaft der Fische, eine allerdings variationsreiche Nachbarschaft, denn immerhin gibt es weit über dreißigtausend bekannte Arten. Wir haben es allerdings mit weniger Arten zu tun. Die hauptsächlichsten im Mittelmeer sind, mit vielen

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